Cafe Palestine Freiburg e.V. ist ein politisch- kulturelles Forum, das über die Situation im Nahen Osten berichten, persönliche Schicksale vorstellen und namhafte Referenten zum Thema einladen möchte. Die kulturelle Vielfalt Palästinas soll durch kleine Konzerte, palästinensische Folklore, Literatur und Kunst gezeigt werden.

Samstag, 5. März 2011

DIE NAMEN DER UNSCHULDIGEN, DIE GETÖTET WURDEN von VERA MACHT

März 2011


Dieser Artikel ist über Omar Maruf. Warum ist dieser eine Mensch so wichtig, wenn doch täglich Dutzende unschuldige Menschen sterben, überall auf dieser Welt? Warum ein Artikel über diesen Einen?

Omar Maruf wurde von einem Soldaten getötet, der schwer bewaffnet war, bestens ausgestattet mit allem, was die neuste westliche Militärindustrie zu bieten hat. Omar selbst trug alte, schmutzige Kleidung und war mit seinem Esel beim Steine sammeln. Es handelte sich bei Omar noch nicht einmal um einen sogenannten “Kollateralschaden”, der bei einem Militärangriff unglücklicherweise von einer fehlgeleiteten Kugel oder Bombe getroffen wurde. In unseren modernen Kriegen, in denen angeblich alles präzise kalkulierbar ist, befindet sich dennoch immer wieder jemand zur falschen Zeit am falschen Ort.

Aber dieses Mal war es nicht so. Nein! Ein junger Soldat, schwer bewaffnet und bestens ausgerüstet, hat auf Omar, der mit ärmlicher Kleidung und Steinen in der Hand dastand, gezielt und beschlossen, ihn zu erschießen. Ein junger Soldat verspürte an einem sonnigen Wintermorgen das Bedürfnis, einen Menschen seines Alters zu töten. Vielleicht war das Leben Omars in seinen Augen nicht wichtig genug und der Soldat wusste, dass diese Tat für ihn nie irgendwelche Konsequenzen haben würde, dass er sich niemals dafür würde rechtfertigen müssen. Weil Omar ein Palästinenser war, der keine Rechte hat, dessen Leben nicht zählt.

Dieser Artikel handelt von Omar Maruf, weil sein Leben doch zählt. Weil sein Tod Entrüstung und die Forderung nach Gerechtigkeit verdient. Weil ich in die stummen Gesichter der trauernden Brüder Omars gesehen habe, weil ich seinen Cousins zugehört habe, die aus Wut und Hilflosigkeit immer mehr redeten. Wie man denn einfach einen jungen Menschen ermorden kann, haben sie mich gefragt. Wie es sein kann, dass der israelische Soldat nicht verklagt wird, dass es keine Gerechtigkeit gibt, dass es niemanden interessiert. Warum man Menschen wie sie, warum man Palästinenser einfach erschießen kann. Warum niemand etwas tut. Warum keine Regierung dieser Welt ihnen zu Hilfe kommt, wenn die israelische Regierung davon überzeugt ist, dass internationales Recht für sie nicht gilt.

Hier ist sie also die Geschichte des Todes von Omar Maruf. Zwanzig Jahre war er alt, Vater eines zwei Jahre alten Sohnes. “Geh nicht zunahe zur Grenze, das ist zu gefährlich”, hatte sein Cousin Talal ihn vorher gewarnt. Er hätte keine Wahl war Omar´s Antwort. Er hätte einen Sohn, der Essen braucht. Also ging er zur Grenze, um Steine zu sammeln. Es war 9:30 Uhr am Morgen des 28. Februar 2011. Talal war ungefähr 700 Meter von der Grenze entfernt auf seinem eigenen Land. Omar befand sich in 400 Metern Entfernung, als die israelischen Soldaten das Feuer eröffneten. Er war außerhalb der sogenannten Pufferzone, dem 300 Meter breiten Landstrich entlang der Grenze zu Israel, dessen Betreten das israelische Militär unter Todesandrohung verboten hat. Man kann darüber diskutieren, ob es rechtmäßig ist, offiziell zu erklären, man würde alle Zivilisten des Nachbarstaates erschießen, die sich auf ihrem eigenen Ackerland nahe der Grenze befinden. Aber das braucht man gar nicht. Omar war hundert Meter von der Pufferzone entfernt.

Talal konnte Omar von seinem Standpunkt aus nicht sehen, er wusste nicht, was mit ihm geschehen war, ob die Schüsse der Soldaten ihn getroffen hatten. Sie schossen mehrere Salven. Mit der letzten Salve erschossen sie den Esel. Talal konnte sehen, wie er starb. Warum bloß den Esel, fragt man sich. Eine so sinnlose zusätzliche Grausamkeit. Doch da wusste Talal noch nicht, was mit Omar geschehen war. Kurz darauf brachen zwei Bulldozer und ein Panzer in das Land ein, es war Talal unmöglich, näher zu kommen. Auch der Krankenwagen des Roten Kreuzes, den er gerufen hatte, erhielt selbst nach Rücksprache mit der israelischen Seite keine Erlaubnis, sich dem Eselskarren zu nähern. Die Bulldozer begannen, rund um den Karren mit dem toten Esel einen Graben zu schaufeln, fast einen halben Kilometer entfernt vom Territorium ihres eigenen Staates. Warum, fragt man sich. Warum bloß schaufelten sie einen Graben um den Eselskarren? Kurz darauf beobachtete Talal aus sicherer Entfernung, wie der leblose Körper Omars in den Panzer gebracht wurde. Wieder frägt man sich „Warum?“ Warum nur nahmen sie Omar mit sich? Vielleicht wollten sie ihn behandeln, überlegte Talal. Behandeln? Zwei Stunden lang versuchten die Sanitäter des Roten Kreuzes herauszufinden, was mit Omar geschehen war, wo er sich befand, ob er noch lebte. Vergeblich. Schließlich bekamen die Sanitäter einen Anruf des Krankenhauses von Gaza Stadt: Ein Körper war durch den israelischen Grenzübergang Erez hineingebracht worden, Omar war tot.

„Was dachten sich denn die Soldaten bloß, als sie auf ihn schossen?“, fragt mich sein Cousin. „Dachten sie er würde irgendeine Gefahr darstellen? Er hat doch nicht einmal Geld, um Milch für sein Kind zu kaufen. Dachten sie, er hätte Geld für eine Waffe? Dachten sie, er hätte einen Panzer?“ Als ob ich eine Antwort hätte. Doch was mich weiter beschäftigt ist die Frage, warum die Soldaten ihn mitgenommen haben. Die Familie ist davon überzeugt, dass sie ihm helfen wollten. Ich frage einen seiner Brüder, ob Spuren von medizinischer Behandlung an seinem Körper sichtbar waren. Er schüttelt den Kopf. „Nein“, antwortet er, „ich habe seinen Körper gesehen. Da waren keine Einstichstellen einer Infusion, kein Verband. Die Kugel war auf der linken Seite seines Körpers eingetreten und auf der anderen wieder herausgekommen.“ Eine Dumdum-Kugel, die größtmöglichen Schaden hinterlässt.

Geschosse, die im Inneren des Körpers explodieren sind laut Genfer Konvention 1889, Artikel 3, verboten. Ich erwähne nicht, dass das Benutzen solcher Geschosse kaum zu der Annahme passt, die Soldaten hätten helfen wollen. Vielleicht ist der Gedanke einfach zu beruhigend, dass einer von ihnen den verletzen Omar tatsächlich als Menschen wahrgenommen hat, der Hilfe brauchte.

Doch etwas war an Omar verändert worden. Als sein toter Körper im Krankenhaus ankam, klebte ein Zettel auf seiner Brust. „Terrorist“ stand darauf.

Omar Maruf ist der achte Zivilist, der in den letzten beiden Monaten in der Pufferzone erschossen wurde. Seit Beginn letzten Jahres wurden weit über 100 Arbeiter und Bauern von israelischen Scharfschützen in der Pufferzone angeschossen, 18 davon starben.