Wenn das Meer nicht wäre.
„Wie hast du deinen Urlaub verbracht?“, ist hier in Gaza eine etwas taktlose Frage. Wie soll man ihn schon verbracht haben, hier auf den 40 mal fünf Kilometern, in denen eineinhalb Millionen Menschen auf dem dichtbesiedelsten Landstrich dieser Erde eingepfercht sind, ohne jegliche Möglichkeit diesen zu verlassen. Hier gibt es kaum eine Möglichkeit, seinen Urlaub zu verbringen. Urlaub ist daher eins der rarsten Gesprächsthemen in Gaza. Glücklich ist, wer überhaupt welchen hat, denn das bedeutet, dass man Arbeit hat, die genauso rar ist, bei einer Arbeitslosigkeit, die seit der Blockade des Gazastreifens bei 45% liegt. Wenn man also Urlaub hat, theoretisch, ist man nicht unbedingt erpicht darauf, sich diesen auch zu nehmen. Wo soll man denn auch hin? Den Streifen verlassen kann man sowieso nicht, und hier in Gaza gibt es keinen Ort, der nicht überfüllt ist mit Menschen, mit Dreck und Lärm. Dass man das Thema Urlaub besser nicht erwähnt, lernt man schnell, hier in Gaza.
Aber Gaza liegt am Meer. Und wenn das Meer nicht wäre, gäbe es keinen Ort, an den man an einem freien Tag oder einem Sommerabend mit seiner Familie oder Freunden gehen könnte. Aber da es das Meer gibt, kann man einen Pichnickkorb packen, den Grill, im Sommer die Badesachen, und man kann sich einen Moment vorstellen, das Leben wäre normal und frei, ohne täglichen Terror, und man verbringt einen Tag am Meer, als ob man alle Möglichkeiten hätte.
Man sollte sich jedoch keine Illusionen darüber machen, dass der Strand des Gazastreifens ein schöner Ort wäre. Knapp 40 Kilometer Strand hat Gaza, wo eineinhalb Millionen Menschen eingesperrt leben. Und sie alle beschließen, von Zeit zu Zeit, so zu tun als ob sie frei wären, alle Möglichkeiten hätten und nichts lieber tun würden, als einen Tag am Strand zu verbringen, mit ihrer Familie oder ihren Freunden, und grillen, vielleicht. Oder sich an einem Winternachmittag in warme Jacken zu hüllen, sich von Wellen und Seeluft umgeben lassen, um dem Lärm der Generatoren zu entfliehen.
Der Strand ist somit, wie der Rest von Gaza, überfüllt. Er ist dreckig und er ist laut. Auch ins Wasser geht man lieber nicht hinein, da die nötigen Dinge, die man für Kläranlagen braucht, von Israel zu möglichen Terrorobjekten erklärt wurden, und deren Einfuhr deshalb verboten ist. Millionen von Litern Abwasser fließen deshalb täglich in Gazas Meer. Aber da ist das Meer. Wenn das Meer nicht wäre.
Man sollte sich auch keine Illusionen darüber machen, dass die Menschen Gazas am Strand sicher wären, dass ihr Leben dort weniger in Gefahr wäre als an jedem anderen Ort des Gazastreifens, zu jedem anderen Zeitpunkt.
Im Jahre 2006 verbrachte die 11jährige Huda Ghalia mit ihrer Familie einen Nachmittag in der vermeintlichen Idylle, bei einem Picknick. Wofür auch immer diese Familie mit einer Decke voller Essen und spielenden Kindern von israelischen Soldaten gehalten wurde, der Strand wurde von einem Kriegsschiff mit acht Artilleriekugeln getroffen, die nahe der Familie explodierten. Huda Ghalia war die einzige Überlebende , alle anderen neun Familienmitglieder starben, mehr als 30 weitere Menschen in der Nähe wurden verletzt. Eines der schlimmsten Verbrechen, das an Gaza´s Strand jemals verübt wurde, aber bestimmt nicht das einzige. All dies hat man durchaus im Hinterkopf, wenn man dort sitzt, die Füße im Sand.
Aber sicher ist man in Gaza nirgendwo, und somit hält das die Menschen bestimmt nicht davon ab, zum Meer zu gehen und zu versuchen den Terror zu vergessen, für einen Tag oder zumindest ein paar Stunden.
Was das Meer Gaza´s so bedeuted macht, ist nicht wirklich die Tatsache, dass es die enzige Möglichkeit zur Erholung bietet. Das Meer Gaza´s ist die einzige Möglichkeit, die die Menschen zum Träumen haben. Das weiß jeder, der schon einmal abends dort am Strand saß, die Sonne blutrot im Wasser untergehen sah und auf einmal wieder wusste, dass es Schönheit gibt auf dieser Welt.
Wenn man dort sitzt, und aufs Meer hinausblickt, und die kleinen hölzernen Fischerboote nahe am Strand sieht und weiter draußen Lichter auf dem Meer, dann denkt man nicht daran, dass diese Lichter von israelischen Kriegsschiffen stammen. Dann denkt man nicht daran, dass man diese kleinen Fischerboote deshalb so gut sieht, weil sie nicht weiter hinausfahren können, ohne in Gefahr zu geraten, von den Soldaten auf den israelischen Kriegsschiffen erschossen zu werden, und dass sie nicht näher zum Strand kommen können, ohne ihren Lebensunterhalt vollends zu verlieren. Man denkt nicht an das bilaterale Osloabkommen, bei dem den Fischern Gazas 20 Seemeilen zugesprochen wurden, die später unilateral erst auf 6 und dann auf drei Seeemeilen beschränkt wurden. Man denkt nicht an die Familie, die man besucht hat und deren 19jähriger Sohn in einer Entfernung von 2,5 Seemeilen beim Fischen erschossen wurde. Nicht an die Fälle der letzten Zeit, bei denen Fischer auf dem Meer entführt wurden und in Handschellen auf dem nassen Boden ihres Bootes liegend in israelische Gefängnisse zum Verhör gebracht wurden. Dort sollten sie auf Fotos, die detailgetreu von Drohnen aufgenommen worden waren, ihr Haus zeigen und den Hafen beschreiben. Nach Tagen wurden sie zurück geschickt ohne ihr Boot und somit ohne Zukunft. Aber daran denkt man in diesem Moment nicht.
Nein, man sitzt am Strand und sieht der blutroten Sonne zu, wie sie im Meer untergeht, und grüßt die in der Nähe stehenden Fischer, die man schon kennt. Die Fischer, die ihre Netze am Ufer ausgeworfen haben, oder die mit einer Angelrute dort stehen. Man freut sich mit ihnen, wenn sie etwas gefangen haben, denn das kommt nicht oft vor, und nun hat die Familie etwas zum Essen. Man hofft vielleicht, dass man sie nicht im Krankenhaus wieder sieht, nachdem ihnen von israelischen Soldaten ins Bein geschossen wurde, weil sie zu nah an der Grenze standen.
Aber eigentlich ist es viel zu schön, nur dort zu sitzen und ihnen zuzuschauen, wie sie ihre Netze auswerfen in der Abenddämmerung, während man den selbst im Winter leicht warmen Sand unter seinen Füßen spürt.
Warum das Meer so besonders ist, hier in Gaza, liegt vielleicht noch nicht einmal daran, dass man, wenn man dort sitzt und den brechenden Wellen zusieht, an die Schönheit dieser Welt erinnert wird. Das Besondere an Gazas Meer ist, dass man den Horizont sehen kann. Den Horizont, der einen an das Gefühl von Freiheit erinnert, das man hier schon fast vergessen hat. Das die jungen Menschen Gazas gar nicht mehr zu hoffen wagen jemals zu haben, weil sie es nie gekannt haben.
Dort am Meer sieht man keine Grenzen, keine Mauern und keine Schießtürme, wie in jeder anderen Himmelsrichtung, sondern nur unendliche Weite. Man hat das Gefühl, endlich wieder atmen zu können, anstatt in der Enge und Überfülltheit langsam zu ersticken, und sieht, dass die Welt mehr ist als ein kleiner Streifen von Terror, Gewalt und Angst. Nein, wenn man dort sitzt und den Horizont sieht, dann fängt man wieder an, von Freiheit zu träumen. Dann kann man sich vorstellen, wie ein
Vogel über dieses unendliche Wasser zu fliegen, zu fernen Ländern die man vielleicht nie sehen können wird, aber man kann daran glauben, in diesem Moment.
Dass die Menschen Gazas noch träumen können, zeigt dieser wunderschöne Text einer jungen Palästinenserin, zu finden unter http://fidaa.me/?p=136
Vera Macht lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen (Vera.Macht@uni-jena.de)
Mittwoch, 19. Januar 2011
IF THERE WASN´T THE SEA by VERA MACHT 19.1.11
If there wasn’t the sea. "How did you spend your vacations?" In Gaza this is a somewhat tactless question. How should it be spent, here in the 40 by five kilometers where one and a half million people are cooped up on the most densely populated strip of land on earth, without any possibility to leave. Here are not many ways to spend your vacation. Vacations are thus one of the rarest topics of discussion here in Gaza. Lucky is the one who has some, because it means that he has work, which is rare as well, with unemployment reaching up to 45% since the blockade. So if you have vacations, in theory, then it doesn’t mean you’re also keen on taking them, where should you go after all, you can’t leave anyway, and here in Gaza there is no place that is not crowded with people, with dirt, and with noise. So its better not to mention vacations, something you learn quickly here in Gaza.
But in Gaza there is the sea. And if there wasn’t the sea, then there would be no place you could go with your family, your friends, on a winter day or a summer evening. But there is the sea, so you can pack a picnic basket, or a barbecue or your swimsuit in the summer, imagining for a moment that your life is normal and free, without daily terror, poverty, or so many lost dreams for the future. You can spend a day at the sea as if you had a normal life of hope, comfort, dignity and pleasure.
However, you should not cherish the illusion that the beach of Gaza would be a nice place. There are about 40 kilometers of beach in Gaza, for one and a half million people living locked up, which all decide, from time to time, that they are free, with all of the expectations of life, but would like nothing better than to spend a day at the beach with family and friends, a barbecue maybe. Or a winter afternoon, wrapped in a warm jacket, but surrounded by waves and sea air, and not by the noise of the generators. The beach is therefore not so much different from the rest of Gaza, it’s crowded, it’s dirty and it’s loud. And you’re reluctant to enter the water, because the things you need for sewage treatment plants have been declared possible terrorist objects by Israel, so their imports are prohibited. Which means millions of liters of sewage flow daily into Gaza’s sea. But there is the sea. If there wasn’t the sea.
You should also not cherish the illusion that the people of Gaza were safer on the beach, that their lives would be less in danger there than at any other place of Gaza, or at any other time. In 2006, the 11 year old Huda Ghalia and her family spent an afternoon there, having a picnic. Why ever a family with a blanket full of food and playing children was targeted by Israeli soldiers , they hit the beach from their war ship with eight artillery bombs that exploded close to the family. Huda Ghalia was the only survivor of her family, all the other nine people died and around over 30 were wounded. One of the worst crimes that happened at Gaza’s beach, but certainly not the only one. And that is on your mind when you sit there, your feet in the sand. But there are no safe places in Gaza, so this certainly doesn’t stop the people from going to the sea, any attempt to forget the terror, for a day, or at least for a few hours.
But what makes the sea of Gaza so significant is not really that it offers the only leisure activity. The sea of Gaza is the only option that people have to dream. Anyone who has ever sat there on the beach one evening, watching the blood red sun sinking down into the water knew once again that
there is beauty in this world. When you sit there and look out to the sea, and watch the small wooden fishing boats near to the beach, and farther out the lights on the sea, then you don’t think about the fact that these lights are from Israeli warships. Then you don’t think about the fact that you can watch these little fishing boats so well because they can’t go out further without getting in danger of being shot by the soldiers on these warships, and that they can’t get closer to the beach without losing their livelihood completely. You don’t think of the bilateral Oslo agreement in which the fishermen of Gaza were granted 20 nautical miles to fish in, or the fact it was unilaterally reduced to six, and since 2008 has been limited to only three nautical miles. Nor of the family you have visited, whose 19 year old son was shot at 2.5 nautical miles while fishing. Or of the many fishermen recently kidnapped at sea, forced to lie handcuffed on the wet floor of their boats and brought into Israeli prisons for interrogation. There they had to point at their house on photographs from Gaza, taken in detail by a drone, and describe the port. They were sent back after days without their boat, and thus without a future. But even that you can forget, for this moment.
You sit on the beach and watch the blood-red sun as it sets into the sea, and greet the fishermen around who already know you. The fishermen who have cast their nets on the shore, or are there with a fishing rod, and you can share their happiness when they’ve caught something, which is not very often, and now the family has something to eat. You hope, perhaps, that you won’t see them again in the hospital when they were shot in the leg by Israeli soldiers because they were standing too close to the border. But actually it's much too beautiful just to sit there and watch them, as they cast their nets at dusk, while you can feel slightly warm sand under your feet, even in winter.
But why the sea is so special, here in Gaza, is perhaps not even the feeling as you are sitting there watching the waves breaking, reminding you of the beauty of this world. The significance of the sea in Gaza is that you can see the horizon. The horizon, which recalls the feeling of freedom that you had almost forgotten here. Which the young people of Gaza don’t dare to hope ever to have because they have never known it. But there on the ocean unlike every other frontier, you see no borders, no walls and no gun towers, but infinite space. You have the feeling that you can finally breathe again, instead of suffocating slowly in this narrow and crowded place, and you realize that the world is more than a small strip of terror, violence and fear. Yes, when you sit there and see the horizon, you start once again to dream of freedom. In your thoughts, you fly then like a bird above this endless water to distant countries, which you perhaps will never see, but can imagine, in this moment.
That the people of Gaza still dream is manifested in this beautiful text of a young Palestinian woman, to be found at http://fidaa.me/?p=136
Vera Macht lives and works in Gaza since April 2010. She is a peace activist and reports about people´s daily struggle in Gaza (Vera.Macht@uni-jena.de)
But in Gaza there is the sea. And if there wasn’t the sea, then there would be no place you could go with your family, your friends, on a winter day or a summer evening. But there is the sea, so you can pack a picnic basket, or a barbecue or your swimsuit in the summer, imagining for a moment that your life is normal and free, without daily terror, poverty, or so many lost dreams for the future. You can spend a day at the sea as if you had a normal life of hope, comfort, dignity and pleasure.
However, you should not cherish the illusion that the beach of Gaza would be a nice place. There are about 40 kilometers of beach in Gaza, for one and a half million people living locked up, which all decide, from time to time, that they are free, with all of the expectations of life, but would like nothing better than to spend a day at the beach with family and friends, a barbecue maybe. Or a winter afternoon, wrapped in a warm jacket, but surrounded by waves and sea air, and not by the noise of the generators. The beach is therefore not so much different from the rest of Gaza, it’s crowded, it’s dirty and it’s loud. And you’re reluctant to enter the water, because the things you need for sewage treatment plants have been declared possible terrorist objects by Israel, so their imports are prohibited. Which means millions of liters of sewage flow daily into Gaza’s sea. But there is the sea. If there wasn’t the sea.
You should also not cherish the illusion that the people of Gaza were safer on the beach, that their lives would be less in danger there than at any other place of Gaza, or at any other time. In 2006, the 11 year old Huda Ghalia and her family spent an afternoon there, having a picnic. Why ever a family with a blanket full of food and playing children was targeted by Israeli soldiers , they hit the beach from their war ship with eight artillery bombs that exploded close to the family. Huda Ghalia was the only survivor of her family, all the other nine people died and around over 30 were wounded. One of the worst crimes that happened at Gaza’s beach, but certainly not the only one. And that is on your mind when you sit there, your feet in the sand. But there are no safe places in Gaza, so this certainly doesn’t stop the people from going to the sea, any attempt to forget the terror, for a day, or at least for a few hours.
But what makes the sea of Gaza so significant is not really that it offers the only leisure activity. The sea of Gaza is the only option that people have to dream. Anyone who has ever sat there on the beach one evening, watching the blood red sun sinking down into the water knew once again that
there is beauty in this world. When you sit there and look out to the sea, and watch the small wooden fishing boats near to the beach, and farther out the lights on the sea, then you don’t think about the fact that these lights are from Israeli warships. Then you don’t think about the fact that you can watch these little fishing boats so well because they can’t go out further without getting in danger of being shot by the soldiers on these warships, and that they can’t get closer to the beach without losing their livelihood completely. You don’t think of the bilateral Oslo agreement in which the fishermen of Gaza were granted 20 nautical miles to fish in, or the fact it was unilaterally reduced to six, and since 2008 has been limited to only three nautical miles. Nor of the family you have visited, whose 19 year old son was shot at 2.5 nautical miles while fishing. Or of the many fishermen recently kidnapped at sea, forced to lie handcuffed on the wet floor of their boats and brought into Israeli prisons for interrogation. There they had to point at their house on photographs from Gaza, taken in detail by a drone, and describe the port. They were sent back after days without their boat, and thus without a future. But even that you can forget, for this moment.
You sit on the beach and watch the blood-red sun as it sets into the sea, and greet the fishermen around who already know you. The fishermen who have cast their nets on the shore, or are there with a fishing rod, and you can share their happiness when they’ve caught something, which is not very often, and now the family has something to eat. You hope, perhaps, that you won’t see them again in the hospital when they were shot in the leg by Israeli soldiers because they were standing too close to the border. But actually it's much too beautiful just to sit there and watch them, as they cast their nets at dusk, while you can feel slightly warm sand under your feet, even in winter.
But why the sea is so special, here in Gaza, is perhaps not even the feeling as you are sitting there watching the waves breaking, reminding you of the beauty of this world. The significance of the sea in Gaza is that you can see the horizon. The horizon, which recalls the feeling of freedom that you had almost forgotten here. Which the young people of Gaza don’t dare to hope ever to have because they have never known it. But there on the ocean unlike every other frontier, you see no borders, no walls and no gun towers, but infinite space. You have the feeling that you can finally breathe again, instead of suffocating slowly in this narrow and crowded place, and you realize that the world is more than a small strip of terror, violence and fear. Yes, when you sit there and see the horizon, you start once again to dream of freedom. In your thoughts, you fly then like a bird above this endless water to distant countries, which you perhaps will never see, but can imagine, in this moment.
That the people of Gaza still dream is manifested in this beautiful text of a young Palestinian woman, to be found at http://fidaa.me/?p=136
Vera Macht lives and works in Gaza since April 2010. She is a peace activist and reports about people´s daily struggle in Gaza (Vera.Macht@uni-jena.de)
AMJAD, DAS NÄCHSTE OPFER IN GAZA´S PUFFER-ZONE von VERA MACHT 19.1.11
Acht Tage hat es gedauert. Acht Tage seitdem der letzte Unschuldige hier gestorben ist. Man sieht die Menschen hier sterben, einen nach dem anderen, wie sie getötet werden, einer nach dem anderen, ohne Folgen, ohne Gerechtigkeit, ohne einen Aufschrei in den Medien. Unschuldige Menschen, die nie etwas anderes verbrochen haben, als zu versuchen sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zivilisten. Palästinensiche Zivilisten, deren Leben nicht mehr wert zu sein scheint als einen Eintrag in die Statistik. Und man fühlt sich als wären seine Hände gebunden. “Das ist es also was ich tun kann: Ich registriere sie in meinem Notebook. Es ist registriert, und dort ist eine leere Stelle nach Shaban’s Name. Für diejenigen, die sie morgen töten werden.“, so schrieb der amerikanische Journalist Max Ajl nachdem er 65-jährige Schäfer Shaban Karmout ermordet wurde. Acht Tage hat es gedauert, und die Stelle wurde gefüllt. Amjad ElZaaneen, 18 Jahre alt, starb heute. Zu jung, zu früh, zu sinnlos, zu viele Namen auf unseren Laptops. Amjad sammelte am 18.1.11, wie an jedem Morgen, Steine mit seinen drei Cousins und seinem Bruder. Der Jüngste von ihnen war elf. Fünf Jungs, Kinder, mit einem Pferd und einem Anhänger voller Steine, ungefähr 300 m von der Grenze zu Israel entfernt, und in der Nähe des Dorfes Bait Hanoun. Sie hatten ihren Karren gerade vollgeladen, als sie sahen, wie israelische Panzer und Bulldozer in das Land einbrachen, warum, wer weiß das schon. Sie rannten um ihr Leben, erfolgreich, sie kamen wohlbehalten zu Hause an. Doch das Pferd war schließlich noch da. Und die ganzen Steine, die sie mühsam gesammelt hatten, für die sie ihr Leben riskiert hatten, um für diesen Tag etwas Einkommen zu haben, und für den nächsten vielleicht auch. Wer weiß schon, ob die Situation dann nicht noch gefährlicher sein würde. Also gingen sie zurück, als sie dachten, dass sich die Lage beruhigt und sich die Panzer und Bulldozer von Gazas Land zurückgezogen hätten, nachdem sie es zum Hundertsten Mal plattgewalzt hatten, warum, wer weiß das schon. Doch als sie bei ihrem Pferd ankamen und es gerade wieder mit nach Hause mitnehmen wollten, feuerten israelische Soldaten eine Granate auf sie, und Sharaf Raafat Shada ,19 wurde in der Brust getroffen. Amjad, der nun älteste, versuchte ihn wegzuziehen, ihn auf den Karren zu legen, um ihn irgendwie ins Krankenhaus zu bringen, doch Sharaf war zu schwer für ihn. Also fasste Amjad den Entschluss, zu versuchen nach Bait Hanoun zu kommen, um irgendwie Hilfe zu holen. Er war nicht weit gekommen, als ihn eine Granate direkt in den Bauch traf und eine so große Wunde hinterließ, dass er innerhalb von Minuten verblutete.
Die Jugendlichen brachen in Panik aus und rannten los, um sich in Sicherheit zu bringen. Krankenwagen erreichten den Ort, und Anwohner, die versuchten sich, weiße Tücher schwingend, den Verletzten zu nähern. Ohne Erfolg. Viel zu lange dauerte es, bis die Verwundeten geborgen werden konnten. Ismael Abd Elqader ElZaaneen, 16 Jahre alt, liegt im Krankenhaus, mit Verbänden an fast jeder Stelle seines Körpers. „Wir rannten in alle Richtungen, und sie feuerten ungefähr zehn Artilleriegranaten auf uns. Ich bekam einen Splitter tief in meinen Rücken, und kleinere überall in meinen Körper. Aber ich bin trotzdem weitergerannt, bis ich die Hauptsraße von Bait Hanoun erreicht hatte.“ Selbst der verletze Sharaf schaffte es irgendwie, nach Bait Hanoun zu gelangen, ohne noch einmal getroffen zu
werden, und der elfjährige Oday Abdel Qader Elzaaneeen wurde durch einen Granatensplitter in seiner Wange nur leicht verletzt. Er steht im Krankenhaus und weint, sichtlich unter Schock, sein Cousin ist tot, und seine Brüder schwer verletzt. „Ich habe keine Ahnung, warum die Israelis dies getan haben“, sagt er leise. Er ist zu jung um hier zu stehen und zu weinen, er ist zu jung um zwischen Granaten um sein Leben zu rennen, er ist zu jung um heute seinen Cousin verloren zu haben. Und Amjad war zu jung, um heute zu sterben, durch eine Granate die seinen Bauch zerfetzt hat. Seine Mutter bricht im Krankenhaus zusammen. Selbst als sie wieder zu sich kommt bleibt sie liegen, die Augen geschlossen. Es kann keine Welt geben, in der ihr Sohn nicht mehr ist.
Der Onkel von Sharaf, der neben seinem Bett steht sagt: „Die Israelis begehen hier jeden Tag Verbrechen. Keiner von uns Zivilisten kann mehr sein Land betreten. In der letzten Zeit ist die Brutalität eskaliert, Bauern, Schäfer, Steinesammler, wir werden alle ermordet. Sie haben für niemanden Erbarmen, weder für alte Menschen noch für Kinder. Die Menschen da draußen müssen anfangen uns zu helfen, jeden Tag, jede Woche und jeden Monat haben wir neue Verletzte und Tote zu beklagen. Seit 1948 leiden wir, und es wird immer schlimmer. Wir bekommen von niemandem Unterstützung. Aber wir brauchen Hilfe. Alle Palästineser sind mögliche Angriffsziele. Alle von uns. Niemand ist davon ausgenommen, niemand ist sicher.”
Vera Macht lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen (Vera.Macht@uni-jena.de)
Die Jugendlichen brachen in Panik aus und rannten los, um sich in Sicherheit zu bringen. Krankenwagen erreichten den Ort, und Anwohner, die versuchten sich, weiße Tücher schwingend, den Verletzten zu nähern. Ohne Erfolg. Viel zu lange dauerte es, bis die Verwundeten geborgen werden konnten. Ismael Abd Elqader ElZaaneen, 16 Jahre alt, liegt im Krankenhaus, mit Verbänden an fast jeder Stelle seines Körpers. „Wir rannten in alle Richtungen, und sie feuerten ungefähr zehn Artilleriegranaten auf uns. Ich bekam einen Splitter tief in meinen Rücken, und kleinere überall in meinen Körper. Aber ich bin trotzdem weitergerannt, bis ich die Hauptsraße von Bait Hanoun erreicht hatte.“ Selbst der verletze Sharaf schaffte es irgendwie, nach Bait Hanoun zu gelangen, ohne noch einmal getroffen zu
werden, und der elfjährige Oday Abdel Qader Elzaaneeen wurde durch einen Granatensplitter in seiner Wange nur leicht verletzt. Er steht im Krankenhaus und weint, sichtlich unter Schock, sein Cousin ist tot, und seine Brüder schwer verletzt. „Ich habe keine Ahnung, warum die Israelis dies getan haben“, sagt er leise. Er ist zu jung um hier zu stehen und zu weinen, er ist zu jung um zwischen Granaten um sein Leben zu rennen, er ist zu jung um heute seinen Cousin verloren zu haben. Und Amjad war zu jung, um heute zu sterben, durch eine Granate die seinen Bauch zerfetzt hat. Seine Mutter bricht im Krankenhaus zusammen. Selbst als sie wieder zu sich kommt bleibt sie liegen, die Augen geschlossen. Es kann keine Welt geben, in der ihr Sohn nicht mehr ist.
Der Onkel von Sharaf, der neben seinem Bett steht sagt: „Die Israelis begehen hier jeden Tag Verbrechen. Keiner von uns Zivilisten kann mehr sein Land betreten. In der letzten Zeit ist die Brutalität eskaliert, Bauern, Schäfer, Steinesammler, wir werden alle ermordet. Sie haben für niemanden Erbarmen, weder für alte Menschen noch für Kinder. Die Menschen da draußen müssen anfangen uns zu helfen, jeden Tag, jede Woche und jeden Monat haben wir neue Verletzte und Tote zu beklagen. Seit 1948 leiden wir, und es wird immer schlimmer. Wir bekommen von niemandem Unterstützung. Aber wir brauchen Hilfe. Alle Palästineser sind mögliche Angriffsziele. Alle von uns. Niemand ist davon ausgenommen, niemand ist sicher.”
Vera Macht lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen (Vera.Macht@uni-jena.de)
AMJAD – THE NEXT VICTIM IN GAZA BUFFER ZONE by VERA MACHT 19.1.11
It took eight days. Eight days since the last innocent was killed. You watch people die here one after another, getting killed one by one, without consequences, without justice, without an outcry in the media. Innocent people who have never done anything wrong in their lives other than try to make a living from something amidst the stifling four year siege. Civilians. Palestinian civilians, whose life doesn’t seem to be worth more than an entry in the statistics. And you feel like your hands are tied. “So that’s what I can do: register it in my notebook. It is registered, and there is an empty line after Shaban’s name. That is for those who they kill tomorrow”, wrote the American writer Max Ajl after the farmer Shaban Karmout was killed. It took eight days, and the place was filled. Amjad ElZaaneen, was 17 years when he was killed today. Too young, too early, too meaningless, too many names in all of our laptops.
Amjad collected stones that morning, on the 01/18/2011, as on every morning, with his three cousins and his brother, the youngest of whom was eleven. Five boys, children, with a horse and a cart full of stones, about 300m from the border with Israel, and near to the village of Bait Hanoun. They had just loaded their cart full as they saw Israeli tanks and bulldozers coming to invade the land, why, who knows. A group of resistance fighters approached the area, including fighters from PFLP, the Communist Party, to fight them out again, to prevent them from again uprooting the land. A more symbolic act, the country was destroyed hundreds of times before, by tanks and bulldozers, one more time, what difference does it make. Amjad and the others ran for their lives, successfully, they arrived safely at home.
But the horse was still there, after all, and all the stones they had collected with difficulty, for which they had risked their lives to have some income that day, and for the next one maybe, who knows whether the situation then wouldn’t be even more dangerous. So they returned, as they thought the situation had calmed down, and the tanks and bulldozers had withdrawn from Gaza's land, after they had flattened it one more time, why, who knows. But when they arrived at their horse, and just wanted to take it back home, Israeli soldiers fired a shell at them, and Sharaf Raafat Shada, 19, was hit by a piece of shrapnel in the chest. Amjad, the oldest, tried to pull him away, to lay him on the cart to somehow take him to the hospital, but Sharaf was too heavy for him. So Amjad made the decision to try to reach Bait Hanoun in order to get help. He hadn’t gone far when a shell directly hit him into his belly, leaving a wound so large that he bled to death within minutes. The young boys broke out in panic and ran off to get to safety. Ambulances and people living nearby arrived to try to rescue the boys, waving white flags, but that didn’t stop the shooting. It took a long time until they managed to reach them.
Ismael Abd Elqader ElZaaneen, 16 years old, is now in hospital in Bait Hanoun, with bandages on nearly every part of his body. "We ran in all directions, but they fired about ten artillery shells at us. I got shrapnel deep in my back and smaller pieces all over my body. But I kept running nevertheless, until I got to the main road from Bait Hanoun." Even the injured Sharaf somehow managed to reach refuge at the main street without being hit by the shelling again. The eleven-year old Abdel Qader
Oday Elzaaneeen was slightly injured by shrapnel to his cheek. He was standing in the hospital and crying, visibly in shock, his cousin is dead, and his brothers are injured severely. "I have no idea why the Israelis have done this," he says quietly. He is too young to stand here and cry, he is too young to run for his life between shells, he is too young to have lost his cousin today. And Amjad was too young to die today, by a grenade that has torn his stomach apart. As his mother heard what happened, she collapsed in the hospital. And even as she regained her consciousness, she remained lying down silently, her eyes closed. How can the world be still there if her son is no more.
The uncle of Sharaf, who is standing next to his bed, said: "The Israelis are committing crimes every day here. None of us civilians can enter his fields anymore. The brutality is escalating dramatically in recent times, farmers, shepherds, stones collectors, we are all murdered. They don’t have mercy on anyone, neither for the elderly, nor for children. People out there must begin to help us, because every day, every week and every month we have to mourn new injuries and deaths. Since 1948, we are suffering and it’s getting worse and worse. We don’t get support from anyone. But we need help. All Palestinians are potential targets. All of us. No one is excluded, no one is safe."
Each of the relatives, waiting in the hospital, could be the next victim. As a farmer on the field, as a shepherd, while collecting stones. Today Amjad ElZaaneen was the next name on the list of innocent deaths, of senseless killings. On the long list in all of our laptops, in all of our consciences.
Vera Macht lives and works in Gaza since April 2010. She is a peace activist and reports about people´s daily struggle in Gaza (Vera.Macht@uni-jena.de)
Amjad collected stones that morning, on the 01/18/2011, as on every morning, with his three cousins and his brother, the youngest of whom was eleven. Five boys, children, with a horse and a cart full of stones, about 300m from the border with Israel, and near to the village of Bait Hanoun. They had just loaded their cart full as they saw Israeli tanks and bulldozers coming to invade the land, why, who knows. A group of resistance fighters approached the area, including fighters from PFLP, the Communist Party, to fight them out again, to prevent them from again uprooting the land. A more symbolic act, the country was destroyed hundreds of times before, by tanks and bulldozers, one more time, what difference does it make. Amjad and the others ran for their lives, successfully, they arrived safely at home.
But the horse was still there, after all, and all the stones they had collected with difficulty, for which they had risked their lives to have some income that day, and for the next one maybe, who knows whether the situation then wouldn’t be even more dangerous. So they returned, as they thought the situation had calmed down, and the tanks and bulldozers had withdrawn from Gaza's land, after they had flattened it one more time, why, who knows. But when they arrived at their horse, and just wanted to take it back home, Israeli soldiers fired a shell at them, and Sharaf Raafat Shada, 19, was hit by a piece of shrapnel in the chest. Amjad, the oldest, tried to pull him away, to lay him on the cart to somehow take him to the hospital, but Sharaf was too heavy for him. So Amjad made the decision to try to reach Bait Hanoun in order to get help. He hadn’t gone far when a shell directly hit him into his belly, leaving a wound so large that he bled to death within minutes. The young boys broke out in panic and ran off to get to safety. Ambulances and people living nearby arrived to try to rescue the boys, waving white flags, but that didn’t stop the shooting. It took a long time until they managed to reach them.
Ismael Abd Elqader ElZaaneen, 16 years old, is now in hospital in Bait Hanoun, with bandages on nearly every part of his body. "We ran in all directions, but they fired about ten artillery shells at us. I got shrapnel deep in my back and smaller pieces all over my body. But I kept running nevertheless, until I got to the main road from Bait Hanoun." Even the injured Sharaf somehow managed to reach refuge at the main street without being hit by the shelling again. The eleven-year old Abdel Qader
Oday Elzaaneeen was slightly injured by shrapnel to his cheek. He was standing in the hospital and crying, visibly in shock, his cousin is dead, and his brothers are injured severely. "I have no idea why the Israelis have done this," he says quietly. He is too young to stand here and cry, he is too young to run for his life between shells, he is too young to have lost his cousin today. And Amjad was too young to die today, by a grenade that has torn his stomach apart. As his mother heard what happened, she collapsed in the hospital. And even as she regained her consciousness, she remained lying down silently, her eyes closed. How can the world be still there if her son is no more.
The uncle of Sharaf, who is standing next to his bed, said: "The Israelis are committing crimes every day here. None of us civilians can enter his fields anymore. The brutality is escalating dramatically in recent times, farmers, shepherds, stones collectors, we are all murdered. They don’t have mercy on anyone, neither for the elderly, nor for children. People out there must begin to help us, because every day, every week and every month we have to mourn new injuries and deaths. Since 1948, we are suffering and it’s getting worse and worse. We don’t get support from anyone. But we need help. All Palestinians are potential targets. All of us. No one is excluded, no one is safe."
Each of the relatives, waiting in the hospital, could be the next victim. As a farmer on the field, as a shepherd, while collecting stones. Today Amjad ElZaaneen was the next name on the list of innocent deaths, of senseless killings. On the long list in all of our laptops, in all of our consciences.
Vera Macht lives and works in Gaza since April 2010. She is a peace activist and reports about people´s daily struggle in Gaza (Vera.Macht@uni-jena.de)
Samstag, 15. Januar 2011
LIVING IN GAZA by VERA MACHT 15.1.11
The air is filled with the noise of the Israeli F-16s, which are flying so low that it's almost like the air is trembling. You can positively feel the bombs before they fall, before they explode with a horrendous bang, that is unmistakable, with a pressure wave that breaks the windows of the houses in the whole surrounding area, and makes the walls shake miles away. And even if you know rationally that you are not in an immediate danger, this bang triggers a primal fear, the feeling of vulnerability, of being absolutely exposed. "We people of Gaza die hundreds of times", a young Palestinian woman said. "In our thoughts, we are buried every night under the rubble of our crumbling house, we are shot every morning by a sniper on a carelessly chosen path, we may starve to death every day, because no more food is coming in." This night four bombs fall, three in the middle area of Gaza Strip, one in Khan Younis. All places have been declared "terrorist targets" in the official statement of the Israeli military, including a Navy police building. They fly overhead for about an hour, and you try to ignore the noise by focusing on something else, on your laptop, the text before you. The people of Gaza might watch TV, but the images are constantly disturbed by dozens of drones in the sky above. Their pervasive, never-ending buzz can drive you crazy, not to mention the prospect of how they record every single detail of each house, each car and each movement of the people, of yourself. Always aware of how they can transform into a deadly weapon at any moment. And perhaps their bombs aren’t aimed at yourself, but at the car next to you, the person behind you, or at the friend on the motorcycle seat in front of you. This happened yesterday afternoon in Khan Younis, as a resistance fighter was executed in broad daylight as he rode his motorcycle with a friend. Whoever writes about Gaza, whoever writes about the buffer zone without writing about the rockets, which are shot from there to Israel, is accused of writing only half the truth. Half of the truth about farmers being killed, stone collectors who are shot at, and bombs in the night. The other half of the truth would then be the approximately 20 mortar shells and missles that have landed in Israel since the beginning of the year, the Israeli soldier who died by "friendly fire", which was actually aimed at a Palestinian, and the Thai workers, who were injured by fragments of a missile. The whole truth would then be a mutual terror, incited on both sides, and in which both parties would be equally responsible for the spiral of violence. If there were two equal parties, then each Israeli police station would be a legitimate target, any Israeli soldier who, on his day off, rides with a friend on his motorcycle through Tel Aviv, would be a legitimate target for execution. That is how Israel operates. The discourse is, however, not about equality, it is about self-defense and protection of a state on one side, and about terrorism on the other side. What about the safety of the people of Gaza? One wonders, living here. What about the safety of the children in the schools near the border that are shot at, of the pregnant women, over whom the F-16 circles? Where is the protection of the baby, who was sleeping in his bed, as a few weeks ago the bullet of an Israeli tank shattered the wall above him? All of this is a response to the terror of the Islamists, says Israel and the mainstream journalism.
The terrorists are called Muqawima here in Gaza. The people who sneak at night to the border with homemade rockets and Kalashnikovs, and they come from the whole political edge spectrum of Gaza, from the Communist and the radical-Islamic, but not from the government. That it’s Hamas supporters who throw missiles at Israel is a common propaganda myth. Since the massacre in Gaza two years ago, there is a truce between Hamas and Israel, and Hamas is abiding by it, in contrast to Israel. Not only that, Hamas cracks down on those militant factions which don’t. Right now, Hamas would take little advantage from a war, and that is what they act upon. The firing of rockets is thus punished heavily, many fighters of these groups have been arrested before doing anything. Israel doesn’t even claim that the missiles come from Hamas. The Israeli rhetoric is that they "hold solely Hamas to account for everything happing in Gaza". It is not Hamas from which this Muqawima, resistance in English, comes. If it’s not Hamas, from whom Israel officially has to protect itself, who is this resistance then? What drives these men to the border at night, with homemade rockets and Kalashnikovs? When one wants to apply oneself over the allegedly other half of the truth about Gaza, one must deal with the militant resistance in Gaza. In Europe the rhetoric of the media and politicians differentiates traditionally between Western and Arab resistance. "When justice becomes injustice, resistance becomes a duty," said Bertolt Brecht, and this is probably the general moral guideline by which Western resistance is measured. Israel is committing blatant injustice in Gaza, not just from an emotional, but from a legal point of view. The entire population of Gaza lives under a total siege, the nutrition of 55% of the Palestinians in Gaza is not ensured, and 10% of children show impairments caused by malnutrition. During the Israeli attack on Gaza 2008 / 9, phosphorus bombs were used. According to article 33 of the Fourth Geneva Convention, collective punishment is prohibited. Article 55 of the Fourth Geneva Convention states that the occupying power has the obligation to maintain the nutrition and medical care for the population to the maximum extent possible. The Additional Protocols of 1977 to the Geneva Conventions of 1949 explain that the use of incendiary weapons against civilians, or in a manner in which it can easily result in so-called "collateral damage", is prohibited. Those are only the most serious examples of a long list of Israel’s injustices toward Gaza. Is it resistance in the Brechtian sense then, which drives the fighters to the border? Maybe, that’s what the supporters of the militant wing of PFLP, the Communist Party, would say, perhaps they have read Marx. They mostly fight against Israeli incursions into Gaza’s land, when the soldiers come with tanks and bulldozers to uproot the fields. Two big questions remain for everyone who condemns violence, and deals with the resistance at the border. Even if one accepts that words, at some point, are not enough anymore, that at some point you have to actively defend yourself, the first question arises: How can you accept that from these the missiles children can potentially be killed? Perhaps we should say that these missiles are not better than fireworks, that they normally cause little damage, maybe this won’t change the fact. Amira Hass, an Israeli journalist, has asked this question to a leader of
the Qassam Brigades, who answered: "We want the mothers and children in Israel to have the same fear that our mothers and children feel every day." The second big question is about the absolute pointlessness of this kind of resistance. Any better firework, which leaves a hole in the Negev, is repaid by bombs, which shake the houses of Gaza, and bury innocent people among them. Any better firework, which leaves a hole in the Negev, produces an outcry in the Western media, which is a hundred times louder than any voice that speaks of the incredible suffering in Gaza, about the open-air prison in which people are living here, under-supplied with food and medicine, which speaks of injustice, and a racism which deprives the Palestinians of their most basic human rights. When you deal with this pointlessness, the way is short to hopelessness, which runs like a thread through the lives of those who go as martyrs to the border, with their homemade rockets and Kalashnikovs. Their death is almost certain, the border zone is a maximum security zone, hardly anybody comes back alive. And when you visit the families of these martyrs, the basic constants you find are poverty, unemployment and hopelessness. They come from the smaller villages around Gaza City, from the border area, from the camps, from refugee families who have settled in small concrete houses. Their fathers may have worked in Israel as long as there were permits for that. In Gaza there is no work, the unemployment rate since the blockade is 45%. There is also nothing for the children, barely enough to eat, let alone money to study. "The only thing we have left is God", one often hears, the other crucial constant is religiosity. For it’s the radical Islamic factions which send these martyrs to the border, the best known of them is probably Islamic Jihad. It’s the children of those families who go to their death, believing there is a paradise, with all those things they can’t hope to acquire on earth. They are in their twenties, often younger, and convinced that in their lives they will never have liberty, nor work, nor the money to get married. Convinced that the only thing they can decide about themselves is the time of their death, and the way. Maybe they think they help their people. Maybe they don’t know about the voice, which tries to be heard outside, and which speaks of the blatant injustice and the suffering of Gaza, maybe they just don’t believe it can possibly help. Who knows, you can’t ask them afterwards, and the next potential martyrs are almost impossible to find beforehand. The people of Gaza you encounter in your daily life, the fruit-seller, the taxi driver, your friends and colleagues, they all speak with respect about the bravery of those who confront the Israeli soldiers in the way of David and Goliath. They don’t feel protected by them, but they esteem those that at least try to resist. What about the ones who launch missiles into Israel, you then ask. Here in the center of Gaza City, where people's lives differ from ours more in the way than in the outline, in which they are engaged in a normal everyday life, locked in terror and fear, here you can hardly find someone who can understand them. In some shoes you may have to be born to know what it's like to walk in them. After one year in Gaza you can only approach the answer to the two big questions of the militant Palestinian resistance.
After one year in Gaza, while sitting at your desk, the air full off the noise of the Israeli F-16s, so loud that it makes things tremble, and you can positively feel the bombs coming, you know something else. You know that when you speak of Israeli terror in the buffer zone, of dead farmers and bombs in the night, you don’t write only half of the truth. Vera Macht, Gaza; Tel: 00972597355082; Email: vera.macht@uni-jena.de
The terrorists are called Muqawima here in Gaza. The people who sneak at night to the border with homemade rockets and Kalashnikovs, and they come from the whole political edge spectrum of Gaza, from the Communist and the radical-Islamic, but not from the government. That it’s Hamas supporters who throw missiles at Israel is a common propaganda myth. Since the massacre in Gaza two years ago, there is a truce between Hamas and Israel, and Hamas is abiding by it, in contrast to Israel. Not only that, Hamas cracks down on those militant factions which don’t. Right now, Hamas would take little advantage from a war, and that is what they act upon. The firing of rockets is thus punished heavily, many fighters of these groups have been arrested before doing anything. Israel doesn’t even claim that the missiles come from Hamas. The Israeli rhetoric is that they "hold solely Hamas to account for everything happing in Gaza". It is not Hamas from which this Muqawima, resistance in English, comes. If it’s not Hamas, from whom Israel officially has to protect itself, who is this resistance then? What drives these men to the border at night, with homemade rockets and Kalashnikovs? When one wants to apply oneself over the allegedly other half of the truth about Gaza, one must deal with the militant resistance in Gaza. In Europe the rhetoric of the media and politicians differentiates traditionally between Western and Arab resistance. "When justice becomes injustice, resistance becomes a duty," said Bertolt Brecht, and this is probably the general moral guideline by which Western resistance is measured. Israel is committing blatant injustice in Gaza, not just from an emotional, but from a legal point of view. The entire population of Gaza lives under a total siege, the nutrition of 55% of the Palestinians in Gaza is not ensured, and 10% of children show impairments caused by malnutrition. During the Israeli attack on Gaza 2008 / 9, phosphorus bombs were used. According to article 33 of the Fourth Geneva Convention, collective punishment is prohibited. Article 55 of the Fourth Geneva Convention states that the occupying power has the obligation to maintain the nutrition and medical care for the population to the maximum extent possible. The Additional Protocols of 1977 to the Geneva Conventions of 1949 explain that the use of incendiary weapons against civilians, or in a manner in which it can easily result in so-called "collateral damage", is prohibited. Those are only the most serious examples of a long list of Israel’s injustices toward Gaza. Is it resistance in the Brechtian sense then, which drives the fighters to the border? Maybe, that’s what the supporters of the militant wing of PFLP, the Communist Party, would say, perhaps they have read Marx. They mostly fight against Israeli incursions into Gaza’s land, when the soldiers come with tanks and bulldozers to uproot the fields. Two big questions remain for everyone who condemns violence, and deals with the resistance at the border. Even if one accepts that words, at some point, are not enough anymore, that at some point you have to actively defend yourself, the first question arises: How can you accept that from these the missiles children can potentially be killed? Perhaps we should say that these missiles are not better than fireworks, that they normally cause little damage, maybe this won’t change the fact. Amira Hass, an Israeli journalist, has asked this question to a leader of
the Qassam Brigades, who answered: "We want the mothers and children in Israel to have the same fear that our mothers and children feel every day." The second big question is about the absolute pointlessness of this kind of resistance. Any better firework, which leaves a hole in the Negev, is repaid by bombs, which shake the houses of Gaza, and bury innocent people among them. Any better firework, which leaves a hole in the Negev, produces an outcry in the Western media, which is a hundred times louder than any voice that speaks of the incredible suffering in Gaza, about the open-air prison in which people are living here, under-supplied with food and medicine, which speaks of injustice, and a racism which deprives the Palestinians of their most basic human rights. When you deal with this pointlessness, the way is short to hopelessness, which runs like a thread through the lives of those who go as martyrs to the border, with their homemade rockets and Kalashnikovs. Their death is almost certain, the border zone is a maximum security zone, hardly anybody comes back alive. And when you visit the families of these martyrs, the basic constants you find are poverty, unemployment and hopelessness. They come from the smaller villages around Gaza City, from the border area, from the camps, from refugee families who have settled in small concrete houses. Their fathers may have worked in Israel as long as there were permits for that. In Gaza there is no work, the unemployment rate since the blockade is 45%. There is also nothing for the children, barely enough to eat, let alone money to study. "The only thing we have left is God", one often hears, the other crucial constant is religiosity. For it’s the radical Islamic factions which send these martyrs to the border, the best known of them is probably Islamic Jihad. It’s the children of those families who go to their death, believing there is a paradise, with all those things they can’t hope to acquire on earth. They are in their twenties, often younger, and convinced that in their lives they will never have liberty, nor work, nor the money to get married. Convinced that the only thing they can decide about themselves is the time of their death, and the way. Maybe they think they help their people. Maybe they don’t know about the voice, which tries to be heard outside, and which speaks of the blatant injustice and the suffering of Gaza, maybe they just don’t believe it can possibly help. Who knows, you can’t ask them afterwards, and the next potential martyrs are almost impossible to find beforehand. The people of Gaza you encounter in your daily life, the fruit-seller, the taxi driver, your friends and colleagues, they all speak with respect about the bravery of those who confront the Israeli soldiers in the way of David and Goliath. They don’t feel protected by them, but they esteem those that at least try to resist. What about the ones who launch missiles into Israel, you then ask. Here in the center of Gaza City, where people's lives differ from ours more in the way than in the outline, in which they are engaged in a normal everyday life, locked in terror and fear, here you can hardly find someone who can understand them. In some shoes you may have to be born to know what it's like to walk in them. After one year in Gaza you can only approach the answer to the two big questions of the militant Palestinian resistance.
After one year in Gaza, while sitting at your desk, the air full off the noise of the Israeli F-16s, so loud that it makes things tremble, and you can positively feel the bombs coming, you know something else. You know that when you speak of Israeli terror in the buffer zone, of dead farmers and bombs in the night, you don’t write only half of the truth. Vera Macht, Gaza; Tel: 00972597355082; Email: vera.macht@uni-jena.de
Freitag, 14. Januar 2011
WIDERSTAND von VERA MACHT 14.1.11
Die Luft ist erfüllt vom Lärm der israelischen F-16, die so tief fliegen, dass es schon fast einem leichten Beben gleicht. Man kann die Bomben förmlich fühlen, noch bevor sie fallen, mit diesem abscheulichen Knall, der unverwechselbar ist, mit einer Druckwelle, die die Fenster der Häuser im weiten Umkreis bersten lässt und die Wände noch Kilometer weiter zum Wackeln bringt.
Selbst wenn man weiß, rational, dass man nicht in unmittelbarer Gefahr ist, löst dieser Knall eine Urangst in einem aus, das Gefühl der Schutzlosigkeit, des absoluten Ausgeliefertseins. „Wir Menschen in Gaza sterben hunderte Male“, so sagte eine junge Palästinenserin. „Wir werden jede Nacht in Gedanken unter dem Schutt unseres einstürzenden Hauses begraben, wir werden jeden Morgen auf einem unvorsichtig eingeschlagenen Weg von Heckenschützen erschossen, wir verhungern vielleicht, weil keine Nahrung mehr hineinkommt.“
Diese Nacht sind es vier Bomben die fallen, drei in der Mitte des Gazastreifens, eine in Khan Younis. Alle haben „Terror-Ziele“ getroffen, so die offizielle Angabe des israelischen Militärs, darunter das Polizeigebäude der Marine.
Rund eine Stunde lang fliegen sie, und man versucht den Lärm zu ignorieren, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, auf den Laptop, den Text vor einem. Die Menschen Gazas schauen vielleicht fern, doch das Bild wird immer wieder gestört durch Dutzende von Drohnen am Himmel. Ihr durchdringendes, nicht enden wollendes Surren kann einen in den Wahnsinn treiben, ganz abgesehen von der Vorstellung, wie sie jedes einzelnes Haus detailgetreu aufzeichnen, jedes Auto und jede Bewegung eines Menschen, von einem selbst. Und immer ist man sich bewusst, wie sie sich in jedem Augenblick in tödliche Waffen verwandeln können. Vielleicht zielen ihre Bomben nicht auf einen selbst, aber auf das Auto neben einem, den Menschen hinter einem. Oder auf den Freund, auf dem Motorradsitz vor einem. So geschehen gestern Nachmittag in Khan Younis, als ein Widerstandskämpfer am hellichten Tage hingerichtet wurde, während er mit einem Freund Motorrad fuhr.
Wer über Gaza schreibt, wer über die Pufferzone schreibt, ohne über die Raketen zuschreiben, die von dort nach Israel hinüber geschossen werden, der würde nur die halbe Wahrheit schreiben, so wird einem vorgeworfen. Die halbe Wahrheit über getötete Bauern, angeschossene Steinsammler und Bomben in der Nacht. So wäre die andere Hälfte der Wahrheit die rund 20 Mörserraketen, die seit Beginn des Jahres in Israel gelandet sind, der israelische Soldat, der gestorben ist, durch „friendly fire“, das eigentlich einem Palästinenser gegolten hat, und die thailändischen Arbeiter, die durch Splitter einer Rakete verletzt wurden. So wäre die ganze Wahrheit ein gegenseitiger Terror, der sich auf beiden Seiten hoch stachelt, in dem beide Parteien für die Gewaltspirale gleichsam Verantwortung tragen.
Würde es sich um zwei gleichberechtigte Parteien handeln, dann wäre jede israelische Polizeistation ein legitimes „Terror-Ziel“, dann wäre jeder israelische Soldat, der an seinem freien Tag mit einem Freund auf seinem Motorrad durch Tel Aviv fährt, legitimes Ziel einer Hinrichtung. So handhabt es jedenfalls die israelische Seite. Doch hier ist die Rede nicht von Gleichberechtigung. Nein, hier spricht man von Selbstverteidigung und dem Schutz eines Staates auf der einen Seite, und von Terrorismus auf der anderen Seite.
Was aber ist mit dem Schutz der Menschen Gazas, so fragt man sich, wenn man hier lebt. Was ist mit dem Schutz der Kinder in den Schulen nahe der Grenze, die beschossen werden, der schwangeren Frauen, über denen die F-16 kreisen? Wo bleibt der Schutz des Säuglings, der in seinem Bett schlief, als vor ein paar Wochen die Kugel eines israelischen Panzers die Wand über ihm zerschmettert hat? Dies sei eine Antwort auf den Terror der Islamisten, so sagt Israel und der Mainstream-Journalismus.
Die „Terroristen“ werden Muqawima in Gaza genannt. Die Menschen, die sich nachts zur Grenze schleichen, mit selbst gebauten Raketen und Kalashnikofs. Sie kommen aus dem gesamten politischen Randspektrum Gazas, aus dem kommunistischem sowie dem radikal-islamischen, nicht jedoch aus Regierungskreisen. Dass es Hamas-Anhänger sind, die Raketen auf Israel werfen würden, ist ein weit verbreiteter propagandistischer Mythos. Zwischen Israel und Hamas herrscht seit dem Massaker in Gaza vor zwei Jahren ein Waffenstillstand, an den sich Hamas, im Gegensatz zu Israel, uneingeschränkt hält. Und nicht nur das. Hamas geht hart gegen jene militanten Splittergruppen vor, die sich nicht an den Waffenstillstand halten. Ein Krieg würde Hamas derzeit wenig nutzen, danach handeln sie. Das Abschießen von Raketen wird somit hart bestraft, viele Kämpfer dieser Gruppen wurden bereits im Vorfeld verhaftet. Israel behauptet auch gar nicht, die Raketen würden von Hamas stammen. Die israelische Rhetorik ist, dass sie "Hamas für alle Vorkommnisse in Gaza zur Verantwortung ziehen". Es ist also nicht Hamas, diese Muqawima, zu deutsch Widerstand.
Wenn es also nicht Hamas ist, gegen die sich Israel offiziell schützen muss, um wen handelt es sich bei diesem Widerstand dann? Was treibt diese Männer zur Grenze, nachts, mit selbst gebauten Raketen und Kalashnikofs?
Will man sich der angeblich anderen Hälfte der Wahrheit über Gaza widmen, so muss man sich mit dem militanten Widerstand Gazas beschäftigen.
In Europa unterscheidet die Rhetorik der Medien und Politiker traditionell zwischen westlichem und arabischem Widerstand. „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zu Pflicht“, so sagte Bert Brecht, und das ist wohl die allgemeine moralische Richtlinie, an der Widerstand im Westen gemessen wird.
Israel begeht schreiendes Unrecht in Gaza, nicht aus emotionaler, sondern aus gesetzlicher Sicht. Die gesamte Bevölkerung Gazas lebt seit fast vier Jahren unter einer vollkommenen Blockade, die Ernährung von 55% der Palästinenser in Gaza ist nicht gesichert, und 10% der Kinder zeigen Beeinträchtigungen durch Mangelernährung. Im israelischen Angriff gegen Gaza 2008/9 wurden Phosphorbomben eingesetzt. Laut Artikel 33 der vierten Genfer Konvention sind Kollektivstrafen verboten. In Artikel 55 der vierten Genfer Konvention ist festgelegt, dass die Besatzungsmacht die Pflicht hat, die Ernährung und medizinische Versorgung der Bevölkerung im größtmöglichen Umfang zu gewährleisten. Die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 erklären, dass der Einsatz von Brandwaffen gegen Zivilpersonen bzw. in einer Art und Weise, in der es leicht zu sogenannten „Kollateralschäden“ kommen kann, verboten ist. Dies sind nur die gravierendsten Beispiele einer langen Liste.
Ist es also Widerstand im Brecht’schen Sinne, der die Kämpfer zur Grenze treibt? Vielleicht würden die Anhänger des militanten Flügels von PFLP, der kommunistischen Partei, dies sagen, vielleicht haben sie Marx gelesen. Sie sind es meistens, die bei israelischen Einbrüchen in Gazas Land kämpfen, wenn die Soldaten mit Panzern und Bulldozern kommen, um die Felder platt zu walzen.
Doch es bleiben immer zwei große Fragen, für jeden der Gewalt verurteilt, und sich mit dem Widerstand an der Grenze beschäftigt. Selbst wenn man akzeptiert, dass irgendwann Worte nicht mehr reichen, dass man sich irgendwann aktiv verteidigen muss, stellt sich die erste Frage: Wie kann man es hinnehmen, dass durch die Raketen auch potentiell Kinder getötet werden können? Vielleicht sollte man erwähnen, dass es sich bei diesen Raketen eher um bessere Feuerwerkskörper handelt, die im Normalfall kaum Schaden anrichten. Vielleicht spielt dies aber gar keine Rolle. Amira Hass, eine israelische Journalistin, stellte diese Frage einem Führer der Quassam Brigaden, der antwortete: "Wir wollen, dass die Mütter und Kinder in Israel die selbe Angst fühlen, die unsere Mütter und Kinder jeden Tag haben."
Die zweite große Frage ist die der absoluten Sinnlosigkeit. Jeder bessere Feuerwerkskörper, der ein Loch in der Negev hinterlässt, hat Bomben zur Folge, die die Häuser Gazas erschüttern lassen, und unschuldige Menschen unter sich begraben. Jeder bessere Feuerwerkskörper, der ein Loch in der Negev hinterlässt, erzeugt einen Aufschrei in der westlichen Presse, der hundert Mal lauter ist als eine Stimme, die über das unglaubliche Leid Gazas spricht, über das Freiluftgefängnis in dem die Menschen hier leben, unterversorgt an Nahrung und Medikamenten, die über das Unrecht spricht und über Rassismus, der den Palästinensern die elementarsten Menschenrechte entzieht.
Beschäftigt man sich mit dieser Sinnlosigkeit, so ist man schnell bei der Hoffnungslosigkeit, die sich wie ein roter Faden durch das Leben derer zieht, die als Märtyrer mit ihren selbst gebauten Raketen und Kalashnikofs zur Grenze gehen. Der Tod ist fast gewiss, die Grenzzone ist ein Hochsicherheitstrakt, kaum einer kam bis jetzt lebend zurück. Besucht man dann die Familien dieser Märtyrer, trifft man auf Grundkonstanten wie Armut, Arbeitslosigkeit und Aussichtslosigkeit. Sie stammen aus den kleineren Dörfern um Gaza-Stadt, aus dem Grenzgebiet, aus den Camps, aus Flüchtlingsfamilien, die sich in kleinen Betonhäusern niedergelassen haben. Die Väter haben vielleicht noch in Israel gearbeitet, als es noch Genehmigungen hierfür gab. In Gaza gibt es keine Arbeit mehr, hier liegt die Arbeitslosigkeit seit der Blockade bei 45%. Also gibt es auch für die Kinder nichts, kaum genug zum Essen, geschweige denn Geld für ein Studium.
„Uns bleibt allein Gott“, so hört man oft, tiefe Religiosität ist die andere entscheidende Grundkostante. Denn es sind die radikal-islamischen Splittergruppen, die diese Märtyrer zur Grenze schicken, am bekanntesten davon vielleicht Islamic Jihad. Es sind die Söhne dieser Familien, die in den Tod ziehen, in dem Glauben es gäbe ein Paradies, mit all jenen Dingen, die sie auf Erden nie zu erreichen hoffen können. Sie sind oft unter zwanzig und überzeugt davon, dass sie in ihrem Leben weder Freiheit, noch Arbeit, noch das Geld zur Heirat jemals haben werden. Überzeugt davon, dass es nur der Zeitpunkt und die Art und Weise ihres Todes ist, über das sie selber bestimmen können. Vielleicht glauben sie auch, ihrem Volk helfen zu können. Vielleicht wissen sie nichts von der Stimme, die sich draußen Gehör schaffen will, die von schreiender Ungerechtigkeit und dem Leid Gazas erzählt, vielleicht glauben sie auch nur nicht an mögliche Hilfe. Wer weiß das schon? Nach dem Freitod kann man sie nicht mehr fragen, davor sind die potentiellen künftigen Märtyrer kaum ausfindig zu machen.
Die Bewohner Gazas, denen man im täglichen Leben begegnet, der Obstverkäufer, der Taxifahrer, die Freunde und Kollegen, sie alle sprechen mit Respekt von der Tapferkeit derer, die sich den israelischen Soldaten in den Weg stellen wie David gegen Goliath. Sie fühlen sich durch diese zwar nicht beschützt, aber sie schätzen, dass diese wenigstens versuchen, sich zu widersetzen.
Was aber ist mit denen, die Raketen nach Israel werfen, fragt man dann. Im Zentrum von Gaza-Stadt, in dem sich das Leben der Menschen eher im Wie als im Was von unserem unterscheidet, in dem sie eingesperrt, in Terror und Angst versuchen, einem normalen Alltagsleben nachzugehen, hier wird man kaum jemanden finden, der das verstehen kann. In manche Schuhe muss man wohl hinein geboren sein, um zu wissen wie es ist, darin zu gehen.
Nach einem Jahr in Gaza kann man sich der Beantwortung der zwei großen Fragen des militanten palästinensischen Widerstandes höchstens annähern.
Nach einem Jahr in Gaza weiß man aber etwas anderes, während man an seinem Schreibtisch sitzt, und die Luft von dem Lärm der israelischen F-16 erfüllt ist, so laut, dass es einem Beben gleicht, und man die kommenden Bomben fast schon fühlen kann. Man weiß, dass man, wenn man von israelischem Terror in der Pufferzone, von getöteten Bauern und Bomben in der Nacht spricht, nicht nur die halbe Wahrheit schreibt.
Vera Macht, Gaza; Tel: 00972597355082; Email: vera.macht@uni-jena.de
Selbst wenn man weiß, rational, dass man nicht in unmittelbarer Gefahr ist, löst dieser Knall eine Urangst in einem aus, das Gefühl der Schutzlosigkeit, des absoluten Ausgeliefertseins. „Wir Menschen in Gaza sterben hunderte Male“, so sagte eine junge Palästinenserin. „Wir werden jede Nacht in Gedanken unter dem Schutt unseres einstürzenden Hauses begraben, wir werden jeden Morgen auf einem unvorsichtig eingeschlagenen Weg von Heckenschützen erschossen, wir verhungern vielleicht, weil keine Nahrung mehr hineinkommt.“
Diese Nacht sind es vier Bomben die fallen, drei in der Mitte des Gazastreifens, eine in Khan Younis. Alle haben „Terror-Ziele“ getroffen, so die offizielle Angabe des israelischen Militärs, darunter das Polizeigebäude der Marine.
Rund eine Stunde lang fliegen sie, und man versucht den Lärm zu ignorieren, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, auf den Laptop, den Text vor einem. Die Menschen Gazas schauen vielleicht fern, doch das Bild wird immer wieder gestört durch Dutzende von Drohnen am Himmel. Ihr durchdringendes, nicht enden wollendes Surren kann einen in den Wahnsinn treiben, ganz abgesehen von der Vorstellung, wie sie jedes einzelnes Haus detailgetreu aufzeichnen, jedes Auto und jede Bewegung eines Menschen, von einem selbst. Und immer ist man sich bewusst, wie sie sich in jedem Augenblick in tödliche Waffen verwandeln können. Vielleicht zielen ihre Bomben nicht auf einen selbst, aber auf das Auto neben einem, den Menschen hinter einem. Oder auf den Freund, auf dem Motorradsitz vor einem. So geschehen gestern Nachmittag in Khan Younis, als ein Widerstandskämpfer am hellichten Tage hingerichtet wurde, während er mit einem Freund Motorrad fuhr.
Wer über Gaza schreibt, wer über die Pufferzone schreibt, ohne über die Raketen zuschreiben, die von dort nach Israel hinüber geschossen werden, der würde nur die halbe Wahrheit schreiben, so wird einem vorgeworfen. Die halbe Wahrheit über getötete Bauern, angeschossene Steinsammler und Bomben in der Nacht. So wäre die andere Hälfte der Wahrheit die rund 20 Mörserraketen, die seit Beginn des Jahres in Israel gelandet sind, der israelische Soldat, der gestorben ist, durch „friendly fire“, das eigentlich einem Palästinenser gegolten hat, und die thailändischen Arbeiter, die durch Splitter einer Rakete verletzt wurden. So wäre die ganze Wahrheit ein gegenseitiger Terror, der sich auf beiden Seiten hoch stachelt, in dem beide Parteien für die Gewaltspirale gleichsam Verantwortung tragen.
Würde es sich um zwei gleichberechtigte Parteien handeln, dann wäre jede israelische Polizeistation ein legitimes „Terror-Ziel“, dann wäre jeder israelische Soldat, der an seinem freien Tag mit einem Freund auf seinem Motorrad durch Tel Aviv fährt, legitimes Ziel einer Hinrichtung. So handhabt es jedenfalls die israelische Seite. Doch hier ist die Rede nicht von Gleichberechtigung. Nein, hier spricht man von Selbstverteidigung und dem Schutz eines Staates auf der einen Seite, und von Terrorismus auf der anderen Seite.
Was aber ist mit dem Schutz der Menschen Gazas, so fragt man sich, wenn man hier lebt. Was ist mit dem Schutz der Kinder in den Schulen nahe der Grenze, die beschossen werden, der schwangeren Frauen, über denen die F-16 kreisen? Wo bleibt der Schutz des Säuglings, der in seinem Bett schlief, als vor ein paar Wochen die Kugel eines israelischen Panzers die Wand über ihm zerschmettert hat? Dies sei eine Antwort auf den Terror der Islamisten, so sagt Israel und der Mainstream-Journalismus.
Die „Terroristen“ werden Muqawima in Gaza genannt. Die Menschen, die sich nachts zur Grenze schleichen, mit selbst gebauten Raketen und Kalashnikofs. Sie kommen aus dem gesamten politischen Randspektrum Gazas, aus dem kommunistischem sowie dem radikal-islamischen, nicht jedoch aus Regierungskreisen. Dass es Hamas-Anhänger sind, die Raketen auf Israel werfen würden, ist ein weit verbreiteter propagandistischer Mythos. Zwischen Israel und Hamas herrscht seit dem Massaker in Gaza vor zwei Jahren ein Waffenstillstand, an den sich Hamas, im Gegensatz zu Israel, uneingeschränkt hält. Und nicht nur das. Hamas geht hart gegen jene militanten Splittergruppen vor, die sich nicht an den Waffenstillstand halten. Ein Krieg würde Hamas derzeit wenig nutzen, danach handeln sie. Das Abschießen von Raketen wird somit hart bestraft, viele Kämpfer dieser Gruppen wurden bereits im Vorfeld verhaftet. Israel behauptet auch gar nicht, die Raketen würden von Hamas stammen. Die israelische Rhetorik ist, dass sie "Hamas für alle Vorkommnisse in Gaza zur Verantwortung ziehen". Es ist also nicht Hamas, diese Muqawima, zu deutsch Widerstand.
Wenn es also nicht Hamas ist, gegen die sich Israel offiziell schützen muss, um wen handelt es sich bei diesem Widerstand dann? Was treibt diese Männer zur Grenze, nachts, mit selbst gebauten Raketen und Kalashnikofs?
Will man sich der angeblich anderen Hälfte der Wahrheit über Gaza widmen, so muss man sich mit dem militanten Widerstand Gazas beschäftigen.
In Europa unterscheidet die Rhetorik der Medien und Politiker traditionell zwischen westlichem und arabischem Widerstand. „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zu Pflicht“, so sagte Bert Brecht, und das ist wohl die allgemeine moralische Richtlinie, an der Widerstand im Westen gemessen wird.
Israel begeht schreiendes Unrecht in Gaza, nicht aus emotionaler, sondern aus gesetzlicher Sicht. Die gesamte Bevölkerung Gazas lebt seit fast vier Jahren unter einer vollkommenen Blockade, die Ernährung von 55% der Palästinenser in Gaza ist nicht gesichert, und 10% der Kinder zeigen Beeinträchtigungen durch Mangelernährung. Im israelischen Angriff gegen Gaza 2008/9 wurden Phosphorbomben eingesetzt. Laut Artikel 33 der vierten Genfer Konvention sind Kollektivstrafen verboten. In Artikel 55 der vierten Genfer Konvention ist festgelegt, dass die Besatzungsmacht die Pflicht hat, die Ernährung und medizinische Versorgung der Bevölkerung im größtmöglichen Umfang zu gewährleisten. Die Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 erklären, dass der Einsatz von Brandwaffen gegen Zivilpersonen bzw. in einer Art und Weise, in der es leicht zu sogenannten „Kollateralschäden“ kommen kann, verboten ist. Dies sind nur die gravierendsten Beispiele einer langen Liste.
Ist es also Widerstand im Brecht’schen Sinne, der die Kämpfer zur Grenze treibt? Vielleicht würden die Anhänger des militanten Flügels von PFLP, der kommunistischen Partei, dies sagen, vielleicht haben sie Marx gelesen. Sie sind es meistens, die bei israelischen Einbrüchen in Gazas Land kämpfen, wenn die Soldaten mit Panzern und Bulldozern kommen, um die Felder platt zu walzen.
Doch es bleiben immer zwei große Fragen, für jeden der Gewalt verurteilt, und sich mit dem Widerstand an der Grenze beschäftigt. Selbst wenn man akzeptiert, dass irgendwann Worte nicht mehr reichen, dass man sich irgendwann aktiv verteidigen muss, stellt sich die erste Frage: Wie kann man es hinnehmen, dass durch die Raketen auch potentiell Kinder getötet werden können? Vielleicht sollte man erwähnen, dass es sich bei diesen Raketen eher um bessere Feuerwerkskörper handelt, die im Normalfall kaum Schaden anrichten. Vielleicht spielt dies aber gar keine Rolle. Amira Hass, eine israelische Journalistin, stellte diese Frage einem Führer der Quassam Brigaden, der antwortete: "Wir wollen, dass die Mütter und Kinder in Israel die selbe Angst fühlen, die unsere Mütter und Kinder jeden Tag haben."
Die zweite große Frage ist die der absoluten Sinnlosigkeit. Jeder bessere Feuerwerkskörper, der ein Loch in der Negev hinterlässt, hat Bomben zur Folge, die die Häuser Gazas erschüttern lassen, und unschuldige Menschen unter sich begraben. Jeder bessere Feuerwerkskörper, der ein Loch in der Negev hinterlässt, erzeugt einen Aufschrei in der westlichen Presse, der hundert Mal lauter ist als eine Stimme, die über das unglaubliche Leid Gazas spricht, über das Freiluftgefängnis in dem die Menschen hier leben, unterversorgt an Nahrung und Medikamenten, die über das Unrecht spricht und über Rassismus, der den Palästinensern die elementarsten Menschenrechte entzieht.
Beschäftigt man sich mit dieser Sinnlosigkeit, so ist man schnell bei der Hoffnungslosigkeit, die sich wie ein roter Faden durch das Leben derer zieht, die als Märtyrer mit ihren selbst gebauten Raketen und Kalashnikofs zur Grenze gehen. Der Tod ist fast gewiss, die Grenzzone ist ein Hochsicherheitstrakt, kaum einer kam bis jetzt lebend zurück. Besucht man dann die Familien dieser Märtyrer, trifft man auf Grundkonstanten wie Armut, Arbeitslosigkeit und Aussichtslosigkeit. Sie stammen aus den kleineren Dörfern um Gaza-Stadt, aus dem Grenzgebiet, aus den Camps, aus Flüchtlingsfamilien, die sich in kleinen Betonhäusern niedergelassen haben. Die Väter haben vielleicht noch in Israel gearbeitet, als es noch Genehmigungen hierfür gab. In Gaza gibt es keine Arbeit mehr, hier liegt die Arbeitslosigkeit seit der Blockade bei 45%. Also gibt es auch für die Kinder nichts, kaum genug zum Essen, geschweige denn Geld für ein Studium.
„Uns bleibt allein Gott“, so hört man oft, tiefe Religiosität ist die andere entscheidende Grundkostante. Denn es sind die radikal-islamischen Splittergruppen, die diese Märtyrer zur Grenze schicken, am bekanntesten davon vielleicht Islamic Jihad. Es sind die Söhne dieser Familien, die in den Tod ziehen, in dem Glauben es gäbe ein Paradies, mit all jenen Dingen, die sie auf Erden nie zu erreichen hoffen können. Sie sind oft unter zwanzig und überzeugt davon, dass sie in ihrem Leben weder Freiheit, noch Arbeit, noch das Geld zur Heirat jemals haben werden. Überzeugt davon, dass es nur der Zeitpunkt und die Art und Weise ihres Todes ist, über das sie selber bestimmen können. Vielleicht glauben sie auch, ihrem Volk helfen zu können. Vielleicht wissen sie nichts von der Stimme, die sich draußen Gehör schaffen will, die von schreiender Ungerechtigkeit und dem Leid Gazas erzählt, vielleicht glauben sie auch nur nicht an mögliche Hilfe. Wer weiß das schon? Nach dem Freitod kann man sie nicht mehr fragen, davor sind die potentiellen künftigen Märtyrer kaum ausfindig zu machen.
Die Bewohner Gazas, denen man im täglichen Leben begegnet, der Obstverkäufer, der Taxifahrer, die Freunde und Kollegen, sie alle sprechen mit Respekt von der Tapferkeit derer, die sich den israelischen Soldaten in den Weg stellen wie David gegen Goliath. Sie fühlen sich durch diese zwar nicht beschützt, aber sie schätzen, dass diese wenigstens versuchen, sich zu widersetzen.
Was aber ist mit denen, die Raketen nach Israel werfen, fragt man dann. Im Zentrum von Gaza-Stadt, in dem sich das Leben der Menschen eher im Wie als im Was von unserem unterscheidet, in dem sie eingesperrt, in Terror und Angst versuchen, einem normalen Alltagsleben nachzugehen, hier wird man kaum jemanden finden, der das verstehen kann. In manche Schuhe muss man wohl hinein geboren sein, um zu wissen wie es ist, darin zu gehen.
Nach einem Jahr in Gaza kann man sich der Beantwortung der zwei großen Fragen des militanten palästinensischen Widerstandes höchstens annähern.
Nach einem Jahr in Gaza weiß man aber etwas anderes, während man an seinem Schreibtisch sitzt, und die Luft von dem Lärm der israelischen F-16 erfüllt ist, so laut, dass es einem Beben gleicht, und man die kommenden Bomben fast schon fühlen kann. Man weiß, dass man, wenn man von israelischem Terror in der Pufferzone, von getöteten Bauern und Bomben in der Nacht spricht, nicht nur die halbe Wahrheit schreibt.
Vera Macht, Gaza; Tel: 00972597355082; Email: vera.macht@uni-jena.de
LIFE AND DEATH IN THE BUFFER ZONE by VERA MACHT 14.1.11
Death comes quickly at a place like this. On sunny winter days, when the smell of the night’s rain is still in the air, as if it would have brought some hope for the raped, barren land of Gaza, overrun hundreds of times by Israeli tanks and bulldozers. The land between the foothills of the village of Bait Hanoun and the Israeli border, guarded by watchtowers, soldiers, snipers, helicopters and drones. A land in which death is a regular guest.
But despite all that, the 65-year-old Shaban Karmout probably had something like hope when he woke up on that winter morning. His house is in exactly this 300 meter wide strip of land in the so-called buffer zone. He has built his house 40 years ago, in 1971, when Gaza was already occupied by Israel, and yet he had thought to have a future there for himself and his family. Shaban began to plant fruits, his land was full of palms and trees, lemon, orange, clementine and almond trees were growing there. He had a good life.
But in 2003, just at the time of the almond harvest, the Israeli bulldozers came in the middle of the night. It took them three hours to raze the work of 30 years to the ground. Since the Israeli attack in 2009, he could no longer live there, too dangerous had the buffer zone become, where his home was, which has now been declared a closed combat zone by Israel. He had since lived in a rented small concrete house in the middle of the refugee camp near Bait Hanoun, in Jabalia, cramped in a tiny room with his large family.
But he went back to his land, every morning, and worked there until the evening. He and his family had to make a living from something, after all. And so this morning, in the morning of the 10th January 2011, he woke up with hope, around 4 o’clock, and left for his fields. Full of hope he was because he and his neighbors had recently received a new well, their old one had been destroyed by an Israeli tank incursion. The Italian NGO GVC had built up the well, it was financed by the Italian government.
On that day he was visited by an employee of the organization, to see how his situation had improved. She had an interview with him, and he asked her to come into the house, as it would be not safe outside. As she left, he advised her to rather take a short cut, you never know. He told her that he himself still had to go into the garden once more to tie his donkey. The NGO worker had just reached the village of Bait Hanoun, as three shots fell. One hit Shaban in the neck, two others in the upper part of his body. He was dead on the spot.
"It's like a nightmare," the Italian said, stunned. "I will never see him again. From here to the morgue in two hours. "
In the interview that he gave shortly before his death, he told about the unbearable situation in which he had been living. "It felt as if someone had ripped out my heart," he described the night in which he lost all his land under the blades of eight bulldozers. And he told how he and the farmers from the neighbor fields had risked it yet again, you have to make a living from something after all, and had grown wheat. When it was ready to be harvested, it was burned down by the Israeli army. And he told how he and the farmers from the neighbor fields yet again had the courage, the children have to eat something after all, and wanted to grow wheat. When the workers went to the field to sow, they were fired upon by Israeli soldiers.
What he now makes his living from, he was asked. "I collect stones and wood, and I grow some crops in my garden," he replied. Crops, for which he had got water most recently, thanks to the donation from the Italian government. Therefore Shaban probably looked somewhat optimistic into the future, for he didn’t have another income than his garden anymore, since it had become too dangerous for him to enter his fields. "At any time the Israeli bulldozers can come again to destroy my house, you never know what they do next," he said. Whether he isn’t afraid to be there, the employee of the NGO asked him. "No, I don’t mind the shooting too much," he replied. "Even if something happens to me, humans can only die once. And only God knows when I am going to die."
His nephew, Mohammed Karmout, stood a bit apart from the morgue. "The Israelis know my uncle very well," he says quietly. "He's there every day, and the whole area is monitored by cameras and drones. They do know he lives there."
And so it is quite doubtful if only God alone knew that Shaban would die at that day, while he was tying his donkey, by three shots in his upper body.
Shaban Karmout is the third civilian being shot dead in the buffer zone in the last month. At Christmas, the Shepherd Salama Abu Hashish, 20 years old, died by a shot in the back while he was tending his sheep. Since the beginning of last year, about hundred workers and farmers were shot by Israeli snipers in the buffer zone, 13 of them died.
Vera Macht, Gaza; Tel: 00972597355082; Email: vera.macht@uni-jena.de
But despite all that, the 65-year-old Shaban Karmout probably had something like hope when he woke up on that winter morning. His house is in exactly this 300 meter wide strip of land in the so-called buffer zone. He has built his house 40 years ago, in 1971, when Gaza was already occupied by Israel, and yet he had thought to have a future there for himself and his family. Shaban began to plant fruits, his land was full of palms and trees, lemon, orange, clementine and almond trees were growing there. He had a good life.
But in 2003, just at the time of the almond harvest, the Israeli bulldozers came in the middle of the night. It took them three hours to raze the work of 30 years to the ground. Since the Israeli attack in 2009, he could no longer live there, too dangerous had the buffer zone become, where his home was, which has now been declared a closed combat zone by Israel. He had since lived in a rented small concrete house in the middle of the refugee camp near Bait Hanoun, in Jabalia, cramped in a tiny room with his large family.
But he went back to his land, every morning, and worked there until the evening. He and his family had to make a living from something, after all. And so this morning, in the morning of the 10th January 2011, he woke up with hope, around 4 o’clock, and left for his fields. Full of hope he was because he and his neighbors had recently received a new well, their old one had been destroyed by an Israeli tank incursion. The Italian NGO GVC had built up the well, it was financed by the Italian government.
On that day he was visited by an employee of the organization, to see how his situation had improved. She had an interview with him, and he asked her to come into the house, as it would be not safe outside. As she left, he advised her to rather take a short cut, you never know. He told her that he himself still had to go into the garden once more to tie his donkey. The NGO worker had just reached the village of Bait Hanoun, as three shots fell. One hit Shaban in the neck, two others in the upper part of his body. He was dead on the spot.
"It's like a nightmare," the Italian said, stunned. "I will never see him again. From here to the morgue in two hours. "
In the interview that he gave shortly before his death, he told about the unbearable situation in which he had been living. "It felt as if someone had ripped out my heart," he described the night in which he lost all his land under the blades of eight bulldozers. And he told how he and the farmers from the neighbor fields had risked it yet again, you have to make a living from something after all, and had grown wheat. When it was ready to be harvested, it was burned down by the Israeli army. And he told how he and the farmers from the neighbor fields yet again had the courage, the children have to eat something after all, and wanted to grow wheat. When the workers went to the field to sow, they were fired upon by Israeli soldiers.
What he now makes his living from, he was asked. "I collect stones and wood, and I grow some crops in my garden," he replied. Crops, for which he had got water most recently, thanks to the donation from the Italian government. Therefore Shaban probably looked somewhat optimistic into the future, for he didn’t have another income than his garden anymore, since it had become too dangerous for him to enter his fields. "At any time the Israeli bulldozers can come again to destroy my house, you never know what they do next," he said. Whether he isn’t afraid to be there, the employee of the NGO asked him. "No, I don’t mind the shooting too much," he replied. "Even if something happens to me, humans can only die once. And only God knows when I am going to die."
His nephew, Mohammed Karmout, stood a bit apart from the morgue. "The Israelis know my uncle very well," he says quietly. "He's there every day, and the whole area is monitored by cameras and drones. They do know he lives there."
And so it is quite doubtful if only God alone knew that Shaban would die at that day, while he was tying his donkey, by three shots in his upper body.
Shaban Karmout is the third civilian being shot dead in the buffer zone in the last month. At Christmas, the Shepherd Salama Abu Hashish, 20 years old, died by a shot in the back while he was tending his sheep. Since the beginning of last year, about hundred workers and farmers were shot by Israeli snipers in the buffer zone, 13 of them died.
Vera Macht, Gaza; Tel: 00972597355082; Email: vera.macht@uni-jena.de
Montag, 3. Januar 2011
Sonntag, 2. Januar 2011
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