Cafe Palestine Freiburg e.V. ist ein politisch- kulturelles Forum, das über die Situation im Nahen Osten berichten, persönliche Schicksale vorstellen und namhafte Referenten zum Thema einladen möchte. Die kulturelle Vielfalt Palästinas soll durch kleine Konzerte, palästinensische Folklore, Literatur und Kunst gezeigt werden.

Freitag, 3. Februar 2017

Erklärung von Professor Farid Esack zu seinem Vortrag über BDS in Deutschland


Erklärung zur Unterstellung antisemitischer Gesinnung
Farid Esack (BDS-Süd-Afrika)
 
11. Januar 2017

Wieder einmal wurde mir unterstellt, Antisemit zu sein – diesmal in Deutschland – und unter den gleichen Umständen wie vor zwei Jahren, als einige Individuen versuchten, französische Universitäten daran zu hindern, mir Vortragsräume zur Verfügung zu stellen. Gegenwärtig bin ich eingeladen, in Berlin, Freiburg, Bonn und Hamburg zu sprechen. 

Die Anschuldigungen richten sich vorwiegend gegen die internationale BDS-Bewegung, genauer gesagt, gegen BDS-Süd-Afrika (BDS-SA), denn aus der Art der Vorwürfe geht hervor, dass ich in meiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender von BDS-SA des Antisemitismus bezichtigt werde. Die Anschuldigungen beinhalten die besonders erbitternde und vollkommen haltlose Behauptung, BDS-SA habe zur Ermordung von Juden aufgerufen. 

Diese Bezichtigungen erfolgen im Rahmen einer viele hundert Millionen Dollar teuren Operation der israelischen Regierung, die inszeniert wird, um dem, was für Unterstützer des Kampfes der Palästinenser um Gerechtigkeit möglich ist oder auch nur gedacht werden darf, möglichst enge Grenzen zu setzen. Die Logik dieser Bemühungen ist ganz einfach: überall da, wo betrübliche Ignoranz herrscht –auch in den Universitäten - für Kontroversen bezüglich jeder Unterstützung der Palästinenser zu sorgen, und den Verantwortlichen für die Verwaltung der Universitäten und allen  Entitäten, die Räumlichkeiten für Solidaritätsveranstaltungen mit den Palästinensern zur Verfügung stellen, das Leben so schwer wie möglich zu machen. Verwaltungsangestellte wollen gewöhnlich nur  in Ruhe ihr Leben leben und sind selten bereit, sich mit Kontroversen auseinanderzusetzen. 

Ich glaube keinen Augenblick lang, dass die Personen, die solche Anschuldigungen am lautstärksten verbreiten, diese selbst ernst nehmen. Sie wissen lediglich ihre Wirksamkeit als Mittel zu schätzen, um jede abweichende Meinung zu unterdrücken. Leider sind sie ebenso wie der Nazi-Mörder Joseph Goebbels davon überzeugt, dass man eine Lüge nur oft genug wiederholen muss, damit sie schließlich geglaubt wird. Dadurch bin ich zu meinem Bedauern wieder einmal gezwungen, die Sache richtig zu stellen. 

Weder ich noch ein anderes Vorstandsmitglied von BDS-SA haben jemals irgendeine Erklärung abgegeben, die vernünftigerweise als Antisemitismus interpretiert werden könnte. (Unter Antisemitismus verstehe ich die Vorstellung, dass Bosheit oder irgendetwas Negatives für das jüdische Volk als ethnische oder religiöse Gemeinschaft kennzeichnend ist, oder dass das jüdische Volk „inhärent“ irgendwelche Gruppeneigenschaften außerhalb eines historischen oder anderen Kontexts  besitzt).

Mein Leben lang habe ich mich konsequent gegen jede Form von „Rassismus“ gewendet. (Unter Rassismus verstehe ich sowohl das Vorurteil und die Art und Weise, wie dieses von den Mächtigen benutzt wird, als auch die Vorstellung, dass irgendein menschlicher Charakterzug oder eine gute oder schlechte Eigenschaft einer bestimmten Rasse oder ethnischen Gruppe zugeordnet werden kann, und die Tendenz der Mächtigen, sie für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Tatsächlich vertrete ich die Meinung, dass bereits die Vorstellung von der Existenz bestimmter Rassen eine wissenschaftliche Absurdität und eine menschliche Erfindung ist).

Rassismus kann verschiedene Formen annehmen – und in dem Ausmaß, in dem viele Juden (und andere) sich selbst als Rasse betrachten, kann die Ablehnung alles Jüdischen als Rassismus beschrieben werden. Diese Form des Rassismus war während eines großen Teils der Geschichte des Christentums besonders tief verwurzelt und abscheulich.

Obwohl die antijüdische Gesinnung in muslimischen Gesellschaften niemals das barbarische Ausmaß erreichte wie in Europa, wo sie in der Ermordung von rund 6 Millionen Juden kulminierte, machten sich etliche muslimische Gesellschaften ebenfalls der antijüdischen Diskriminierung schuldig, und leider ist antijüdischer Rassismus unter Muslimen auch heute nicht ungewöhnlich. Als Muslim habe ich immer wieder mein Bedauern und meinen Ärger darüber zum Ausdruck gebracht, habe diesen Rassismus als Aktivist verurteilt und als Akademiker darüber geschrieben. Ferner habe ich eine Kampagne gegen muslimischen Antisemitismus initiiert.

Wenn ein Volk – gleichgültig welches Volk – sich selbst aufgrund seines „Blutes“ oder seiner Hautfarbe besondere menschliche Charakteristika oder Verantwortlichkeiten zuschreibt, dann ist auch das eine Form von Rassismus.

Bestimmten Menschen aufgrund ihrer Blutlinien bestimmte soziale Rollen zuzuschreiben oder Erwartungen an sie zu stellen, ist ebenfalls Rassismus. Beispiele dafür sind Slogans wie „ die Weißen sind dazu geschaffen, für die Schwarzen zu sorgen“, „Ostasiaten sind eine ‚Muster-Minorität‘“, „Alle Weißen sind Teufel“, „Die Iren sind dumm“ oder „Die Juden sind das auserwählte Volk“.

Die Schrecknisse des Holocaust waren, ebenso wie andere Katastrophen der  Menschheit, in einmaliger Weise entsetzlich. Aber eine Form des Rassismus – in diesem Fall den Antisemitismus – zu einer eigenen Klasse zu erheben, für den ein eigener, für Antisemiten reservierter Platz in der Hölle vorgesehen ist, ist in Wahrheit eine weitere Manifestation der privilegierten Stellung der Weißen. Ferner ist es ein Beispiel dafür, wie Europa seine spezifischen Ängste auf die ganze Welt projiziert.  

Wer ernsthaft besorgt über den Antisemitismus als Bestandteil seiner Opposition gegen jede Form des Rassismus ist, muss sich davor hüten, diese Form des Rassismus zu einem Verbrechen zu erheben, das schwerer wiegt als andere. Dies ist besonders relevant angesichts der Tatsache, dass die Juden in der heutigen Welt in ihrem täglichen Leben nicht die gleiche Diskriminierung erfahren wie beispielsweise schwarze Menschen. Alle Formen von Rassismus haben ihre Bedeutung, und jede muss entsprechend der Wirkung bewertet werden, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte für ein Volk hat.

Manche Juden versuchen verzweifelt, den gegenwärtigen israelischen Staat zu einem Synonym der jüdischen Identität zu machen und diese Vorstellung zu einer strikten Form von Orthodoxie zu erklären . Kritik am Staat Israel bedeutet für sie Kritik an allen Juden. Sie „synonymisieren“ die beiden Begriffe (die Juden und den Staat Israel). 

Viele andere, darunter auch mache orthodoxen religiösen Juden und anti- oder nicht zionistische Juden, besonders jüngere Juden, lehnen diese Synonymisierung ab. Diese Logik erinnert an die Behauptung des ISIS, dass jeder, der seine besondere Form des Islam nicht akzeptiert, ein Kafir, (arabisch für ‚Ketzer‘) oder ein Feind des Islam ist, der alle Muslime hasst. Diese Logik (Judaismus/Juden = der Staat Israel) zu akzeptieren, bedeutet, die vielen Juden auszuschließen, die mit dem Staat Israel nicht einverstanden sind (entweder mit der Idee eines jüdischen Staates oder der Vorstellung, dass dieser Staat kein Unrecht begehen kann).

Der politische Zionismus ist der Mechanismus, den viele Juden in aller Welt als sichersten Garanten für das Überleben des jüdischen Volkes sehen. Manche würden sogar behaupten, er sei „die einzige Möglichkeit, um zu überleben“. Selbst wenn man diese Prämisse akzeptiert – und viele tun dies nicht – ist es ein eigenartiges europäisches Phänomen, ein anderes Volk, die Palästinenser, zu zwingen, einen hohen Preis– in Form von Leben, Würde und Land – für diese Vorstellung vom „Überleben“ zu zahlen. Die politischen Zionisten – von denen viele Atheisten waren und sind – haben kein Problem damit, dieses politische Projekt mit der biblischen Vorstellung von Gottes Versprechen an das jüdische Volk zu verschmelzen, dem Konzept des gelobten Landes. 

Einem Gemeinwesen steht es natürlich frei, an ein Versprechen Gottes zu glauben. Aber in einer Welt, in der es zahlreiche Gemeinschaften gibt, die alle ihre eigenen Götter und Vorstellungen von Gott und ihre eigenen heiligen Texte haben, führt dies notgedrungen zu unschönen Entwicklungen. Gegenwärtig besteht der einzige uns zur Verfügung stehende Mechanismus für Gespräche, die uns aus dem Chaos herausführen können, in den universellen Menschenrechten, dem Völkerrecht und der dialogischen Ethik. (Die Tatsache, dass sowohl die staatlichen als auch die nicht-staatlichen Akteure regelmäßig auf nackte Gewalt zurückgreifen, um ohne Rücksicht auf diese ihren Willen durchzusetzen, macht sie nicht ungültig oder sinnlos – insbesondere nicht für die Menschen, denen es um Freiheit und Gerechtigkeit geht.) 

BDS ist eine internationale Kampagne  mit dem Ziel, Israel für seine zahlreichen Menschenrechteverletzungen gegen die Palästinenser zur Verantwortung zu ziehen. Sie hat sehr viel mit den Folgen des europäischen Antisemitismus für das palästinensische Volk zu tun, aber absolut nichts mit den Überzeugungen, die der langen und abscheulichen Geschichte des europäischen Antisemitismus zugrunde liegen. Leider ist die antijüdische Gesinnung in Europa unter der Oberfläche nach wie vor lebendig und aktiv. (Und ich spreche hier vom „alten Europa“ und nicht von dem Europa der jüngsten – vorwiegend muslimischen – Immigranten.)

Die internationale BDS-Bewegung hat ihre Wurzeln und bezieht ihre Inspirationen aus der erfolgreichen Boykottbewegung im Kampf gegen die Apartheid in Süd-Afrika. In dieser Bewegung spielten die deutschen Kirchen und viele gewöhnliche Deutsche – ebenso wie Menschen aus anderen Ländern – eine bedeutende Rolle. Gegen die Apartheid zu sein machte einen zum Gegner der Vorherrschaft der Weißen in Süd-Afrika. Es machte einen jedoch nicht zum Gegner Süd-Afrikas und bedeutete auch nicht, dass man ein Gegner der Weißen war.

Ausgerechnet Süd-Afrika in den sechziger und siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit Sanktionen zu belegen, bedeutete nicht, dass man die weißen Südafrikaner besonders hasste oder dass man nicht an Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit in anderen Zusammenhängen interessiert war. Es bedeutete lediglich, dass man, wenn man seinen Aktivismus ernst nahm, mit der Realität zu kämpfen hatte, dass der Tag nur 24 Stunden hat.

Die Entscheidung, auf welche Manifestationen von Ungerechtigkeit sich einzelne Personen oder Gruppen konzentrieren wollen, ist ausschließlich ihre eigene Sache. Der Entschluss, sich gegen die Unterdrückung der Rohingya-Muslime in Burma zu engagieren, macht einen nicht zum Hasser der Burmesen und bedeutet auch nicht, dass man gegen das burmesische Volk, gegen Buddhisten oder gegen die burmesische Regierung mehr Ressentiments hegt als gegen andere Unterdrücker. Wenn man sich entscheidet, sich auf die Gerechtigkeit in der Beziehung zwischen den Geschlechtern zu konzentrieren statt sich für Black Lives Matter zu engagieren, bedeutet das nicht, dass man ein Gegner der Schwarzen ist. 

BDS-Süd-Afrika arbeitet mit Mitgliedern aller Gemeinschaftenn, einschließlich der jüdischen Gemeinschaft in Fragen der Gerechtigkeit und der Befreiung der Palästinenser zusammen. Sie ist Teil einer internationalen und gewaltfreien Bewegung für die Befreiung – ja, hauptsächlich die Befreiung der Palästinenser. Aber ebenso wie das Ende der Apartheid eine ernsthafte Möglichkeit für viele Weiße bedeutete, wirklich menschlich zu werden und sich von ihrem Rassismus zu befreien, und ebenso wie Gerechtigkeit für die Frauen die einzige Möglichkeit für die wahre Befreiung der Männer ist, so wird die Freiheit für die Palästinenser die Befreiung vieler Zionisten von ihrem rassistischen Denken und ihren Ängste vor den Palästinensern bedeuten.